Papilio Mariposa
Was die wert ist, kann ich Ihnen wohl sagen.«
Mario horchte auf.
»Es ist mehr als ein bloßer Zufall, es ist eine — wahrscheinlich
gar nicht beabsichtigte — Aufrichtigkeit,
wenn Sie die Ich-Form wählten. Sie selbst sind der
Held Ihrer Erzählung, Sie haben dieses Kapitel erlebt,
Stück um Stück. Sie haben ein Mädchen kennengelernt;
vielleicht auch beim Tanze, denn das Motiv des
Tanzes kehrt in Ihrer Erzählung beharrlich wieder. Sie
haben sich in dieses Mädchen verliebt, und wenigstens
zu der Zeit, da Sie dies schrieben, haben Sie Gegenliebe
nicht gefunden, Sie führen dies auf Ihre Häßlichkeit
zurück, auf Ihren ›Unwert‹, wie Sie in dem Briefe
sagen. Im Schmerze über Ihre Unzulänglichkeit, über
Ihre unerwiderte Liebe haben Sie daran gedacht, zu
sterben.«
Mario blickte ihn an wie einen Zauberer.
»Sie wundern sich, wieso ich das erraten konnte. Sehen
Sie, wir Dichter sind auch Seelenärzte oder besser
gesagt — heilen können wir ja nicht, nur lindern — Seelenkenner.
Woher ich das erraten habe? Vor allem aus Ihrer
eigenen übergroßen Ergriffenheit. Das war weit mehr
als die Befangenheit eines Debütanten. Sie wäre unerklärlich,
wenn es sich wirklich um ein ersonnenes, von
Ihnen losgelöstes Werk handelte.
Dann: Sie haben von dem Romane gerade nur dieses
Kapitel geschrieben, im übrigen haben Sie sich
über Ihren Roman noch recht wenig Gedanken gemacht.
Sie hatten eben nichts mehr zu schreiben als
diese Erzählung, an einen Roman dachten Sie wohl gar
nicht ernsthaft.
Wenn Sie die Erzählung nun als Kapitel, als Teil
eines größeren Ganzen hinstellen, so tun Sie dies aus
Schamhaftigkeit, um das Selbsterlebnis zu verhüllen,
auch weil Ihnen die kurze Geschichte zu unvollständig
erscheint und Sie sich durch deren Vollendung zu Größerem
berechtigt glauben.«
Mario errötete tief.
»Dessen brauchen Sie sich nicht zu schämen. So
seid ihr Jungen nun einmal: Wenn ihr einen Schößling
in der Hand habt, so wollt ihr damit gleich einen ganzen
Wald pflanzen.
Und nun der letzte Grund für meine Vermutung:
Wenn man in Ihrem Alter Romane schreibt, selbst
wenn man sie zu Ende schreibt, so ist man immer
selbst der Held des Romanes. Eine ruhige Schilderung
von Menschen und Dingen, eine Betrachtung, die über
das eigene Ich hinausgreift, dessen ist die Jugend nicht
fähig. Dazu ist sie viel zu sehr von sich selbst eingenommen.
Sehen Sie doch selbst: Was sagen Sie uns von
der Schönen, die über das Schicksal Ihres Helden entscheidet?
Weiter nichts, als daß sie schön ist. Sie fühlen
dunkel, daß Sie mehr zu sagen verpflichtet seien,
aber Sie flüchten vor diesem Mehr. ›Doch erlaßt mir
die Beiwörter‹, so sagen Sie.
Also Ihre Geschichte ist selbst erlebt. Sie lieben, Sie
wollen sich ›würdig zeigen‹, daher auch Ihr Gedicht.
Sie fühlen sich häßlich, unzulänglich, daher die Variationen
über das Thema Qualen der Häßlichkeit: das
poetische und das philosophische Stücklein. Und der
Schluß, der Traum von Beethoven — nun«, er lächelte
dabei fast schamhaft, »sollte da nicht die Begegnung
mit mir Patenschaft gestanden sein?
Alles, was Sie über die Liebesgedichte der Siebzehnjährigen,der Namenlosen, sagen, all das gilt auch für
Ihre Liebestragödie. Ist’s wirklich eine der Liebe?
Kann man eine völlig Fremde überhaupt so lieben, daß
man um ihretwillen in den Tod gehen will?
Nein, wenn es eine Tragödie ist, dann ist es die Tragödie
des unbeherrschten Willens. Nicht verschmähte
Liebe treibt Ihren Helden in den Tod, sondern der Zusammenbruch
seiner geträumten Größe.
Wenn ich mir Ihren Helden recht besehe, ich
glaube, er kann gar nicht wirklich lieben, er ist zu sehr
von sich erfüllt; er mag wohl durch andere leiden, für andere leiden kann er nicht.
Ihr Held — ein Arzt würde ihn als Neurotiker bezeichnen.
Sein Wille ist nicht gesund, er vermag sich
nicht abzufinden mit seiner Stellung in der Welt.
In dem Abschiedsbriefe hat er ein Bekenntnis abgelegt,
überraschend wahr und zutreffend. Ins Ungemessene
geht sein Streben. Er hält sich für groß. Die
Werke der großen Dichter sind sein vertrauter Umgang,
mit ihrem erborgten Glanze nährt er den Traum
von seiner Größe. Die Mitwelt flieht und fürchtet er,
denn sie verweigert ihm die Anerkennung seiner
Größe. Darum der merkwürdige Satz im Briefe: ›Fliehen
möchte ich . . . fort aus dem Schätzungsbereiche
der Menschen!‹
Nun kommt die Liebe über ihn, und es gilt zu zeigen,
was er kann. Die Probe
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