Papilio Mariposa
Literatur-Jupiter
aufgedonnert wurde; weil ich selbst
Zeuge der Szenen war, die da verwertet wurden: die
Begegnung in den Auen, der Tanz in der Bar. Ich empfand
das Mißbehagen eines Kunstbetrachters, der ein
Landschaftsbild als geschickt übermalte Photographie
erkennt.
Ich ließ Désirée das Manuskript lesen. Sie vergoß
dabei Tränen. Aber welche Frau wird nicht Tränen
vergießen, wenn sie von dem Selbstmordplane ihres
verschmähten Anbeters hört? An meinem Urteil
konnte das nichts ändern. Sie wurde gerührt nichtdurch das Rührende der Erzählung, sondern durch die
Rührung des Erzählers.
Gerade diese übergroße Ergriffenheit des Erzählers
mißfiel mir.
Das war die typische Ergriffenheit des Dilettanten.
Ich erinnerte mich an ein Diktum Wassermanns: »Von
dem Verfasser wird gar keine Ergriffenheit verlangt.
Vom Erzähler wird Unsichtbarkeit verlangt, von dem,
was er erzählt, höchste Sichtbarkeit. Dem schöpferischen
Menschen ist seine Person nur ein Vorwand, ein
Ausgangspunkt; der Literat als Dilettant sieht in ihr
die Essenz und das Ziel!«
A ls mich Mariposa bei unserer
nächsten Zusammenkunft um mein Urteil befragte,
wich ich der Antwort aus und brachte das Gespräch
auf einen Gegenstand, den ich bisher ängstlich
vermieden hatte, auf seine Häßlichkeit. Nun wagte ich
es, da er mir durch seine Erzählung das Stichwort geliefert
hatte.
»Mariposa, Sie lassen sich zermürben, statt an Abhilfe
zu denken. Warum sich von ein paar schlecht sitzenden
Hautfalten das Leben verbittern lassen? Sie
wissen ja, daß die Kosmetik heute eine Wissenschaft
geworden ist, mit der sich namhafte Ärzte befassen.
Konsultieren Sie doch solch einen Arzt. Sie haben
Geld genug, sich das etwas kosten zu lassen.«
»Daran habe ich schon gedacht. Es wäre vergeblich.
Es liegt nicht an der Haut allein, sondern an den Knochen.
Kann ich mir ein anderes Knochengerüst zimmernlassen? Nein, mein Leichnam ist unheilbar verpfuscht
. . .
Aber Sie kennen ja den abgedroschenen Satz, daß
die Weltgeschichte sich geändert hätte, wäre die Nase
der Kleopatra länger gewesen. Mag sein, daß das auch
für mich gilt. Vielleicht ist es für die Entwicklung der
Menschheit notwendig, daß ich so greulich aussehe.
Vielleicht ist meine Häßlichkeit der Motor, der mich
vorwärts treibt. Glauben Sie, daß Kant und Schopenhauer
ihre Werke geschaffen hätten, wenn sie weniger
häßlich gewesen wären?«
»Die haben aber keine Romane geschrieben . . .«
»Das heißt, auch ich soll keine Romane schreiben,
weil ich sie nicht schreiben kann. Endlich verraten Sie
mir Ihre Ansicht über mein Romankapitel . . . Ach,
glauben Sie mir, mit Romanen will ich die Welt nicht
aus den Angeln heben.«
»Sondern womit denn?« fragte ich gespannt.
Doch er schien meine Frage gar nicht zu hören und
sprach wie zu sich selbst: »Kosmetik. . . Bestenfalls
kann sie menschliche Züge verschönern . . . Aber wozu
sich mit Geringerem begnügen, wenn man weit Höheres
erringen will?«
D ésirée besuchte die Universität
und hörte unter anderem auch naturwissenschaftliche
Vorlesungen. Sie traf da bisweilen mit
Mariposa zusammen, der ihr mit rührender Dienstbeflissenheit
in ihren Studien behilflich war. Aber
wie sehr sie auch sein stupendes Wissen bewunderte,so sprach sie von ihm doch nur mit einer gewissen
Scheu.
In meine stetige, ruhevolle Freundschaft zu Mariposa
war Unruhe gedrungen. Kein Zweifel, ihm saß
der Liebespfeil im Herzen. Er suchte ihn zu verbergen,
aber vergeblich. Solange wir beide allein blieben, war
alles gut. Aber sowie Désirée hinzukam, lastete auf unserem
Beisammensein eine gespannte, gepreßte Stimmung
trotz aller Bemühungen Mariposas, seine Verliebtheit
nicht zu zeigen, trotz aller Bemühungen Désirées,
sie nicht zu sehen.
Nachgerade wurde dies zu einer regelrechten Kalamität.
Es war ein Glück, daß Désirée für mehrere Wochen
zu ihren Eltern fuhr, welche ein Gut in der Provinz
bewirtschafteten.
N achdem ich Mariposas
Erbschaft zu Geld gemacht und die von ihm gewünschte
Stiftung errichtet hatte, blieb nur der letzte
Auftrag zu erfüllen, der Ankauf des Landgutes.
Diese Aufgabe war nicht einfach, denn Mariposa
hatte ganz bestimmte Wünsche, die nicht leicht zu erfüllen
waren. Endlich glaubte ich gefunden zu haben,
was er suchte. Ich forderte ihn telegraphisch auf, mir
nachzukommen, damit er das Grundstück besichtige
und, wenn es ihm gefiele, sogleich den Kaufvertrag abschließe.
Als dies besorgt war, fuhr ich an
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