Papilio Mariposa
einen der österreichischen
Alpenseen, wo ich mit Désirée zusammentreffen
sollte. Mariposa bat mich, mitkommen zu dürfen.Ich war hierüber nicht gerade freudig überrascht, doch
konnte ich ihm diesen Wunsch nicht wohl abschlagen.
Die leisen Befürchtungen, welche ich wegen des Zusammentreffens
zwischen Désirée und Mariposa hegte,
sollten sich aber als unbegründet erweisen. Offenbar
hatte die längere Trennung beruhigend auf ihn gewirkt:
Sie begegneten einander mit unbefangener Heiterkeit,
mit freundschaftlicher Herzlichkeit.
Wir machten einen Spaziergang durch den Wald,
dann mieteten wir ein Boot und ruderten hinaus.
Es war ein strahlend schöner Tag. Wie blaue Seide
leuchtete der Himmel, und die mittägliche Luft erflimmerte
in jenem wehmütigen Glanze, der uns die
Schönheit der Spätsommertage so schmerzvoll empfinden
läßt. Die sonnenbeglänzten Hänge, welche rings
den See umkränzten, leuchteten wie glückverheißend,
und in den Wäldern brannten die Birke und die Vogelbeere
in bunten Lichtern.
Rings tiefe Mittagsstille, nur aus den Wäldern hallte
bisweilen der Klang der Äxte, und oben in den Bergen
fiel ein Schuß.
Die sanfte Heiterkeit des Tages, die zarte Schönheit
dieser Landschaft gemahnte an das letzte Lächeln vor
dem Abschied.
Das Gespräch war verstummt. Wir träumten vor uns
hin und ließen das Boot von der sachten Strömung
treiben. Désirée lag am Steuer, weit zurückgelehnt, die
eine Hand lässig ins Wasser getaucht, und betrachtete
die Libellen und die Wasserjungfern, die durch das
Schilficht schwirrten. Wie ein spielendes Kind sprach
sie vor sich hin: »Warum gibt’s denn nicht Libellen so
groß wie Reiher? Wie prächtig das wäre . . . wie prächtig
und wie furchtbar!«
»So fragen die Kinder«, entgegnete Mariposa. »Die
Kinder fragen: Wieso kommt es, daß die Maus nicht so
groß wie ein Elefant, und warum gibt es nicht Giraffen,
so groß wie Heuschrecken?«
»So fragen nicht nur die Kinder«, fiel ich ein, »so sagen
auch die Dichter.« Und ich begann scherzhaft-pathetisch
aus Mariposas Romankapitel zu zitieren: »›Da
blühen Rosen, hoch wie Eichen. Die Lilien und die
Hyazinthen verbergen ihre Wipfel in den Lüften, und
tief zu ihren Füßen, wie Moos, so niedrig und so zierlich,
ducken sich die Ulmen, Linden, Tannen.‹«
»Ich sehe«, so erwiderte Mariposa meinen Scherz,
»daß Sie meine Jugendsünden weder vergeben noch
vergessen können.
Nun, in der Frage steckt jedenfalls ein tiefer Sinn,
und es ist nur sonderbar, wie wenig sich die Wissenschaft
bisher um diese Frage gekümmert hat. Da haben
wir die paar zu Tode gehetzten Tiraden von Dubois-Raymond:
›Wenn unsere roten Blutkörperchen die
Größe eines Markstückes hätten, dann wären wir so
hoch wie der Chimborasso.‹ Oder: ›Wenn der Mensch
über die verhältnismäßige Muskelkraft des Flohs verfügte,
könnte er bis auf den Mont Blanc springen, und
wenn der Elefant in seinem Rüssel proportional die
gleiche Stärke hätte wie der Hirschkäfer in seinem Geweih,
dann vermöchte er ein Gebirge zu erschüttern.‹
Und darüber sind wir bisher kaum hinausgekommen.
Allerdings glaubt man, jenes Organ gefunden zu
haben — es ist die Hypophyse, der Gehirnansatz —,
welches die räumliche Ausdehnung jedes Lebewesens
bestimmt.
Nun, wenn man einmal jenes Organ wirklich gefunden
hat, dann wird es nicht mehr lange dauern undman wird es beeinflussen können, man wird aus der
Konstanten eine ›Veränderliche‹ machen. Dann« — er
machte eine Geste des Grenzenlosen — »dann wird es
wirklich Libellen geben so groß wie Reiher.«
»Ob das für die Menschen sehr erfreulich sein
wird«, sagte ich, »bei der ungeheuren Schnelligkeit,
Kraft und Gefräßigkeit dieser Tiere, weiß ich nicht.«
»Die Menschen werden sie züchten, wie sie Affenpinscher
und Orchideen züchten. Und solange sie sie
züchten, so lange werden sie sich ihrer erwehren können.«
»Bitte, Herr Lehrer« — Désirée zeigte mit dem Finger
auf —, »es hat schon einmal Libellen gegeben mit meterlangen
Flügeln; in der Steinkohlezeit. So habe ich es
vor zwei Monaten gelernt.«
»Damals hat es eben noch keinen Menschen gegeben«,
erwiderte ich. »Bös wäre es, wenn sich dieses gigantische
Wachstum ohne den Willen des Menschen
vollzöge.
Die Kerfe sind die Feinde des Menschen. Mit allen
anderen Tieren haben wir — ich möchte sagen — etwas
gemein. Sogar Schlangen können wir zähmen, und
noch im Auge des Frosches lesen wir so etwas wie
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