Papilio Mariposa
noch immer bei
mir in meiner Villa. Und das hier sind keine vorsintflutlichen
Fabelwesen, nichts weiter als lebende Raupen,
die Sie hier unter einem von mir konstruierten System
von Vergrößerungslinsen sehen. Allerdings einige
besonders interessante Arten von Raupen, nämlich die
sogenannten Mordraupen und Selbstmordraupen.
Nun haben Sie sich aber hoffentlich wieder erholt
und ich kann Sie weiterführen.«
Er öffnete eine Tür, und wir traten in einen Saal, der
taghell beleuchtet war. Er war nach Art eines Museums
fast gänzlich angefüllt mit großen Glaskästen. Es blieb
nur eben so viel Raum frei, um ungehindert hindurchgehen
zu können.
Aber es war kein Museum, es war eine Art Menagerie.
Denn was in diesen Kästen aufbewahrt war, lebte.
Es waren lauter lebende Schmetterlinge mit ihren Raupen
und Puppen. Schmetterlinge in allen Farben, allen
Größen und aus allen Ländern. Von der unscheinbarsten,
kaum sichtbaren Motte bis zu dem riesigen, märchenhaft
gleißenden Falter der Tropen.
Alle Stadien waren zu sehen: von der mühselig-schwerfälligen
Raupe zur träumenden Puppe, bis zum
leichtbeschwingten, im Liebesspiele beseligten Falter.
Nicht nacheinander, wie in der freien Natur, sondern
infolge kunstvoller Züchtung auch nebeneinander.
Saal auf Saal durchschritten wir, dazwischen wiederkleinere Zimmer, wo besonders merkwürdige Forschungsergebnisse,
interessante Kreuzungs-, Züchtungs-,
Anpassungsresultate gesondert dargestellt waren.
In manchen dieser Zimmer herrschte Treibhauswärme,
in einigen Schränken waren seltene fremde
Blumen gepflanzt, um den herrlich bunten exotischen
Faltern ihre natürlichen Lebensbedingungen zu bieten.
Mariposa war ein geschickter und unterhaltsamer
Führer. Seine fesselnden Erläuterungen beleuchteten
mit ein paar kurzen Sätzen weite Zusammenhänge.
Nur selten verweilte er beim einzelnen, blieb stehen,
um mir ein besonders schönes oder rares Exemplar, ein
besonders schwieriges oder wichtiges Forschungsergebnis
zu zeigen.
Hier war er ein anderer Mensch. Die sorgenvolle
Spannung und Zerstreutheit war von ihm gewichen, er
war ruhig und heiter, seine Augen leuchteten bisweilen
in dem freudigen Stolze des Sammlers inmitten seiner
Lieblinge. Hier war er in seinem Element: »Papilio
Mariposa«.
»In der Naturforschung«, so belehrte er mich, »wird
jetzt der Kinematograph mit großem Nutzen verwendet.
Zeitlupenaufnahmen unter dem Mikroskop, also
räumliche und zeitliche Vergrößerung, die haben erst
manches offenbart, was bisher unsichtbar blieb und
darum nicht gedeutet werden konnte. Wir müßten
eigentlich diese kleinen Lebewesen, wenn wir uns nur
einigermaßen der Welt ihrer Vorstellung anpassen wollen,
immer unter Zeit- und Raumlupe betrachten.
Aber hier will ich Ihnen das Widerspiel zeigen:
räumliche Vergrößerung, zeitliche Verkleinerung.«
Wir waren unterdessen in einen kleinen Raum eingetreten,dessen eine Wand mit einer Scheibe aus mattem
Glas verkleidet war, also eine Art Zimmerkino.
Mariposa verdunkelte und setzte den Projektor in
Tätigkeit. Auf der weißen Fläche erschien eine Raupe,
wundervoll bunt, körperlich plastisch, nur riesenhaft
vergrößert. Es war ein ganz vollkommenes Verfahren
der Farbenkinematographie mit stereoskopischen, also
aus dem Raume hervortretenden Bildern.
Das Tier kroch eilends dahin, fraß in Hast, ringelte
sich ein und ruhte. Nur ein paar Augenblicke. Dann
hob es den Kopf, witternd, lauschend, wie von dumpfer
Ahnung erfaßt, und begann aufs neue zu wandern.
Ratlos, rastlos, planlos, wie von einer fernen Sehnsucht
getrieben. Dann kam Ruhe über das Tier. Es spann
sich ein, wurde zur mißfarbigen Puppe, lag in starrem
Schlafe. Wieder nur ein paar kurze Augenblicke. Und
es durchbrach die Hülle des Gespinstes, es war geflügelt,
es reckte wie schlaftrunken seine Flügel. Und flog
davon als schimmernd bunter Falter.
Ich blickte hin, atemlos vor Entzücken. Das alles war
so sinnvoll kurz, so schön, daß ich vor Freude in die
Hände klatschte wie ein kleines Kind.
Mariposa freute sich an meiner Freude und sagte lächelnd:
»Da haben Sie die Zusammenfassung all dessen,
was Sie hier gesehen haben. Ein Schmetterlingsleben
en raccourci.
Ähnlich mag wohl auch unser Leben mit all seinen
Freuden, Leiden vorüberziehen vor dem Blicke des
großen Weltenmeisters, wenn er’s der Mühe wert hält,
für eine kurze Weile unser Treiben aus seiner unbekannten
Ferne zu betrachten.«
»Ja, in der Zusammenfassung«, entgegnete ich nachdenklich
und
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