Papilio Mariposa
Erden
noch Wesen gibt, die gleich uns kraft ihrer Intelligenz
oder ihrer sittlichen Eigenschaften Anspruch auf Gott
weiß welche ungewöhnliche Rolle im Weltall, auf Unsterblichkeit
und große Hoffnung erheben könnten.
Der Gedanke, sie könnten unser Vorrecht mit uns teilen,
erschüttert und entmutigt uns. Wir sehen, wie sie
entstehen, wie sie leben, ihren bescheidenen Pflichten
nachkommen und zu Hunderten Milliarden sterben,
ohne eine Spur zu hinterlassen, ohne daß sich jemand
darum bekümmerte und ohne daß sie je ein anderes
Ziel erreicht hätten als den Tod. Wir wollen uns nicht
eingestehen, daß es mit uns genauso sein muß. Es wäre
uns erwünscht, wenn bei ihnen alles Torheit, Instinkt,
Unbewußtheit, Verantwortungslosigkeit wäre. Eines
Tages werden auch wir lernen — wie alles auf diesem
Erdball es bereits gelernt hat —, uns damit zu bescheiden,
daß wir leben. Es wird unser letztes Ideal sein, das
alle anderen Ideale in sich aufgenommen hat.‹
Und wenn Sie meinen, daß von unserem Leben
keine Brücke führt zu jenem der Kerfe und daß die
Welt der fortentwickelten Insekten nur denkbar wäre
nach einer Welt der Menschen, nicht aber neben ihr« —
er sprach’s mit seltsam dunkler, hochmütig-wissender
Stimme —, »nun, so wäre da noch die Probe aufs
Exempel zu machen.«
M ariposa fuhr mit mir
nach Wien, um die Übersiedlung nach seinem neuerworbenen
Landgute durchzuführen.
Als er Abschied nahm, gaben wir uns das Versprechen,
unsere Freundschaft auch weiterhin zu pflegen.
Dieses Versprechen hielt er zunächst und schrieb
mir regelmäßig. Allmählich wurden seine Briefe seltener
und kürzer. Man merkte es ihnen an, daß er in völliger
Einsamkeit lebte. Um all das, was draußen in der
Welt vorging, kümmerte er sich nicht mit einem
Worte; er schien nicht einmal Zeitungen zu lesen. Aus
dem Inhalte und noch mehr aus der Handschrift dieser
Briefe — ich bin ein wenig Graphologe — konnte ich ersehen,
daß er mit verzehrendem Eifer irgendwelchen
Forschungen nachhing. Was für Forschungen dies waren,
schrieb er nicht. Wenn ich danach fragte, entgegnete
er ausweichend.
Um so regelmäßiger stellten sich aber die Aufmerksamkeiten
ein, mit denen er Désirée bedachte: bald
schöne seltene Blumen, bald ein gutes Buch, selbst Puderdose
und Lippenstift fehlten nicht.
All diese Geschenke erfolgten durchaus anonym. Sielangten nicht mit der Post ein — offenbar um den Aufgabeort
nicht zu verraten —, sondern wurden von Boten
abgegeben. Er selbst schrieb ihr keine Zeile. Doch
konnte nicht daran gezweifelt werden, daß er allein der
Spender sei.
Etwa ein Jahr verstrich, da lud mich Mariposa ein,
ihn zu besuchen. Ich zögerte nicht, diese Einladung anzunehmen,
als Abschluß meines Sommerurlaubs.
Es war nicht leicht, seinen Landsitz zu erreichen.
Auf der Station erwartete mich niemand; denn ich
hatte verabsäumt, ihn von meiner Ankunft zu verständigen.
Das Gut lag weitab von der Eisenbahn, und ich
hatte den Weg dahin längst vergessen.
So mußte ich einige Stunden durch die einsame
Landschaft wandern. Der Himmel war dunstverhangen,
über den Wäldern lag seltsam bedrücktes Schweigen.
Endlich war ich am Ziele und wurde von Mariposa
mit herzlicher Freude begrüßt.
Er bewohnte das Herrschaftsgebäude ganz allein.
Sein einziger Gefährte war ein riesiger Wolfshund, ein
wunderschönes, ausgezeichnet dressiertes Tier.
Anfänglich begegnete mir Rolf mit einem Mißtrauen,
das beinahe beleidigend wirkte. Bald aber hatte
er mit dem unfehlbaren Spürsinn des treuen Hundes
begriffen, daß ich der Freund seines Herrn war. Er
wurde herablassend freundlich, schließlich — nachdem
er sich durch sorgfältiges Beschnuppern davon überzeugt
hatte, daß gegen mich nichts Wesentliches einzuwenden
sei — sogar zutraulich.
Ich hatte meine Freude an dem prachtvollen Tier.
Mit welch zärtlich anbetender Liebe hing er an seinem
Herrn, von dem er kein Auge ließ. Wie war er höflichund dabei voll sprühenden Temperamentes, beinahe
könnte man sagen: humorvoll. In welch klarem Glanze
strahlten seine menschlich klugen und doch unschuldigen
Augen. Wir wurden gute Freunde, Rolf und ich.
Die Räume, in denen Mariposa mich empfing, waren
auf das behaglichste eingerichtet. Besonders schön
war das Bibliothekzimmer, wo er sich zumeist aufzuhalten
schien. Sehr geräumig, wenn auch nicht sehr
hoch, und dadurch um so anheimelnder. Der Boden
mit einem hellen, weichen Teppich bespannt, die Möbel
aus Macasserebenholz und an den
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