Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papilio Mariposa

Papilio Mariposa

Titel: Papilio Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
Vom Netzwerk:
sah mit einem trüben Blicke hinaus indie neblige Nacht. »Und was ergibt sie, die Verkürzung,
die Zusammenfassung? Geboren werden, lieben,
leiden, sterben . . . Nur daß wir leider keine Schmetterlinge
werden . . .«
    »Nur daß wir leider keine Schmetterlinge werden«,
wiederholte Mariposa langsam und in tiefem Sinnen.

    D ie Besichtigung war zu
Ende. »Also das sind die Forschungen, mit denen Sie
sich so angelegentlich befassen?« fragte ich, und ohne
daß ich’s wollte, klang es geringschätzig, enttäuscht.
    »Ja, das sind sie allerdings. Wenigstens zum großen
Teile.
    Ich sehe, Sie sind enttäuscht. Aber Ihre Enttäuschung
soll mich nicht entmutigen.
    Ich will nicht davon reden, daß diese Sammlung
eine der größten, vielleicht die größte der Welt ist, daß
ich neun Zehntel meiner Einkünfte für sie verwende.
Auch von den Forschungsresultaten, die ich aufzuweisen
habe, will ich nicht sprechen. Sie als Laie können
sie ja nicht würdigen.
    Aber sagen Sie selbst, ist denn das hier nicht wert,
erforscht zu werden? Wenn ich diese Räume betrete,
die erfüllt sind von so wunderbarem mannigfaltigem
Leben, dann möchte ich oft und oft niedersinken
auf die Knie, mit Tränen in den Augen, wie der
große Linné, als er über eine blumenübersäte Heide
ging.
    Gibt es denn ein Mysterium, mächtiger und lieblicher
als die Verwandlung der Raupe in den Schmetterling?Gibt es ein seligeres Auferstehen aus dumpfer
Blindheit zu Licht und Liebe? Gibt es irgendein Geheimnis
unserer belebten Umwelt, das die Menschheit
seit Jahrtausenden mit solch gläubiger Sehnsucht bestaunt?
Und das sie weniger ergründet hätte?
    Früher war’s der uralte Traum der Menschheit, fliegen
zu können wie der Vogel. Nun, heute können wir
fliegen.
    Aber von der Raupe zum Schmetterling . . .?
    Haben Sie Grabdenkmäler der klassischen Antike
gesehen? Auf allen sind Schmetterlinge abgebildet.
Denn der Schmetterling war ihnen das Symbol der Unsterblichkeit
der Seele.
    Und hat es nicht einen tiefen Sinn, wenn sogar die
nüchterne Wissenschaft das geflügelte Insekt mit
einem so leuchtend vieldeutigen Ausdrucke bezeichnet
wie ›imago‹, das Bild?«

    D ringende Geschäfte beriefen
mich schon am nächsten Tag zurück nach Wien.
    Während der Fahrt überdachte ich noch einmal meinen
Besuch bei Mariposa. Ich war enttäuscht, trotz allem.
Das war also die Leistung, die er aufzuweisen
hatte? Das waren die Wunderwerke, die ich von dem
»anderen Beethoven« erwartete? Eine Schmetterlingssammlung,
nichts weiter. Sein schwärmerisches Entzücken
über das große Mysterium konnte ich kaum begreifen,
geschweige denn teilen. Mir schien es kindische
Spielerei, die Manie eines Sammlers.
    War’s denn ein Wunder, wenn er Sammler wurde?Von den Menschen, die sich ihm ob seiner Häßlichkeit
versagten, floh er zu den Tieren.
    Irgendwo bei Balzac habe ich gelesen: »Kein Kummer
widersteht dem Beruhigungsmittel, das man der
Seele darreicht, indem man sich seiner Manie ergibt.
Ihr alle, die ihr nicht mehr fähig seid, aus dem
Gefäß zu trinken, das man stets den Kelch der
Wonne nannte, werdet Sammler, sammelt, was es immer
sei.«
    Mariposas Briefe wurden immer seltener. Er schien
nachhaltig verstimmt über meine geringe Anteilnahme
an seinen Studien.
    Schließlich sah ich ein, er war im Rechte, er durfte
von mir als dem einzigen Freunde mehr Verständnis
für sein Lebenswerk erwarten, und ich war keineswegs
berechtigt, seine mühevollen Forschungen hochmütig
zu verwerfen, bloß weil sie dem Broterwerb des Alltags
und meinem Wissenskreise fernlagen. Ich beeilte mich,
dies in einem ausführlichen Briefe zu bekennen, und
damit war das freundschaftliche Einvernehmen wiederum
voll hergestellt.
    Aber es verstrich mehr als ein halbes Jahr, ehe wir
uns wiedersahen. Diesmal war er es, der mich besuchte;
denn er hatte in Wien einige Besorgungen für seine
Forschungsarbeiten zu erledigen.
    Ich fand ihn noch schweigsamer, noch weltfremder
und einsamer als je zuvor. Auch glaubte ich zu bemerken,
daß die Weichheit und Herzensgüte, die ich so
sehr an ihm liebte, einer gewissen Härte, einer Art mitleidloser
Beobachtung gewichen war. Vielleicht kam es
daher, weil er seine Studienobjekte unters Messer
nahm, ohne ihrer Schmerzen zu achten; vielleicht, weil
er den Menschen so fremd geworden war.
    »Ich muß Ihnen wieder Vorwürfe machen, Mariposa«,
sagte ich. »So geht das nicht weiter. Sie leben zu
einsam, Sie müssen mehr unter Menschen. Heiraten
Sie. Bei Ihren Geistesgaben

Weitere Kostenlose Bücher