Papilio Mariposa
mich an mit angstverzerrten Zügen.
»Dort schaun S’ hin, Herr Doktor«, murmelte er heiser
und deutete nach dem Waldrande, der etwa fünfzig
Schritte von der Straße entfernt war.
Der Regen hatte aufgehört. Am Himmel jagte,
sturmgetrieben, zerrissenes Gewölk dahin. Wenn ab
und zu der Mond zum Vorschein kam, sah ich in seinem
fahlen Lichte den Hund, wie er mit andächtig emporgehobenemHaupte, halb freudig, und halb angstvoll
bellend, in weiten Sätzen um etwas ringsherumsprang,
liebkosend darnach emporsprang.
Was das, wer das eigentlich war, dem diese Freude,
diese Furcht galt, konnte ich nicht wahrnehmen, da das
Tier meine ganze Aufmerksamkeit fesselte. Eine Sekunde
lang schien mir’s, als ob sich ein mächtiger
Schatten oder so etwas Ähnliches zu dem Hunde niedersenke.
»Weg ist’s«, sagte der Chauffeur und atmete erleichtert
auf. Und im selben Augenblick jagte der Hund
waldeinwärts und kam nicht mehr zurück. Alles Rufen
blieb vergeblich.
»Ja, was ist denn los? Was haben Sie denn eigentlich?«
fragte ich den Chauffeur, der bleich und wortlos
dastand.
»Ja, haben Sie’s denn nicht g’sehn?« fragte er zurück.
»Was denn?«
»No, dieses . . . Tier . . . oder wie man’s schon nennen
soll . . .«
»Was für ein Tier? Natürlich habe ich den Hund gesehn.«
»Nicht den Hund. Bin ich denn a klan’s Kind, daß
ich mich vor einem Hund so fürchten tät? Nein, das
andere Wesen; das mit dem Hund so g’spielt hat . . .
Da hat der Bauer vorhin doch nicht so unrecht
g’habt . . . Schauerlich . . . Nein, daß so was möglich ist,
das hätt’ ich mir nimmer träumen lassen.«
»Aber gehn Sie. Zuerst lachen Sie den Bauern aus,
und dann reden Sie seinen Unsinn nach . . . Die Erzählung
hat Sie eben irritiert. Dazu das unheimliche Wetter,
die wilde Gegend . . . So etwas kommt bei ganz vernünftigenMenschen vor. Man nennt das Halluzination.«
»Na, na. Was ich mit meinen Augen sehn tu, das
lass’ ich mir nicht abstreiten. Und b’soffen bin ich
auch nicht. Na, in diese Gegend fahr’ ich Ihnen nimmer,
Herr Doktor, bei Nacht.«
D ie Sache gab mir zu denken.
Auf das Gerede der Bauern hätte ich nichts gegeben.
Aber meinen Chauffeur, der jahrelang in meinen
Diensten stand, kannte ich als einen nüchternen, intelligenten
Menschen.
Darum erzählte ich am nächsten Abend im Klub
von meinem gestrigen Erlebnis. Selbstverständlich
überall ungläubiges Lächeln.
Einer der Zuhörer, Doktor Weyretter, ein vortrefflicher
Kenner der Folklore, knüpfte daran einen interessanten
Vortrag über Ursprung und Verbreitung der
Sage vom Vampir. Er zeigte, wie diese Sage eigentlich
bei den Völkern der unteren Donauländer heimisch ist
und sich in einem weiten, vielfach unterbrochenen
Bogen bis hinauf nach Pommern und der Mark erstreckt,
wo die Leute vom Gierfraß, vom Nachzehrer —
so heißt der Vampir in diesen Ländern — zu erzählen
wissen.
»Interessant ist es« — so bemerkte Doktor Weyretter
—, »und ich wußte es bisher nicht, daß sich das südliche
Sagengebiet doch so weit nach Norden hin erstreckt.
Unser Freund konnte ja die Sage sogar in einer
Gegend der Nordsteiermark feststellen.«
»Und Sie, lieber Doktor« — er wandte sich an
mich —, »sind durch einen ebenso seltenen als glücklichen
Zufall Zeuge der lebendigen Fortbildung der Sage
geworden. Sehen Sie, so eine Sage schlummert seit Jahrhunderten
im Bewußtsein — fast möchte ich sagen im
Unterbewußtsein — des Volkes, wie die Volkslieder.
Wenn nun eine Melodie ertönt, die jenem Liede verwandt
ist, ich meine, wenn ein Ereignis eintritt, welches
an das Motiv der Sage anklingt, so beginnt das alte
Lied wiederum zu tönen. So verstärken sie sich gegenseitig,
das alte Lied und die neue Melodie, und gehen
ineinander auf.
Beobachten Sie doch selbst. Das Sagenmotiv
schlummert in dem Bewußtsein aller Bauern dieser Gegend,
auch des einen, des Erzählers. Nun sieht der in
tiefer Nacht, schlaftrunken, einen großen Raubvogel
bei seiner blutigen Arbeit. Die neue Melodie klingt an,
die Sage wird lebendig. In ihm und in allen, die es
hören.
So auch bei Ihrem Chauffeur. Versuchen Sie nicht
erst, das einem dieser Leute mit allen Gründen der
Vernunft auszureden. Das alte Sagenmotiv klingt zu
mächtig fort in diesen urwüchsigen Menschen.«
Das war eine einleuchtende Erklärung, die mir auch
zusagte. Denn für Spukgeschichten habe ich nicht viel
übrig. Wir Juristen sind real denkende Menschen.
U m diese Zeit erschienen
in der
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