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Papilio Mariposa

Papilio Mariposa

Titel: Papilio Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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war’s also nur ein Vorteil,
wenn Mariposa lebte.
    So beschloß ich, ehe ich Weiteres unternahm, den
Rat eines Bekannten, eines geschickten Detektivs, einzuholen.

    E s war ein schöner, klarer
Vorfrühlingstag. Ich wollte eine kleine Fußwanderung
durch die in jungem Grün leuchtende Landschaft machen
und schickte den Wagen voraus.
    Etwa nach einer Stunde Weges begegnete ich einer
sonderbaren Prozession. Das heißt, eine Prozession war
es gar nicht. Kein Heiligenbild, keine religiösen Gesänge.
Auch ein Wallfahrerzug war es nicht.
    Es waren lauter Frauen, etwa ein halbes Hundert.
Sie gingen nicht in regelrechter Ordnung dahin, sondern
gruppenweise, zerstreut; wie wenn sie gar nichts
miteinander zu tun hätten. Und doch gehörten sie zusammen,
man sah es auf den ersten Blick.
    Bald blieben sie stehen, wie wartend, blickten nach
den Baumwipfeln, spähten nach den Bergen, bald lagerten
sie; dann ging es gar ein ganzes Stück zurück.
Planlos und doch von einem gebieterischen Wunsche
vorwärts getrieben. Wenn man sie näher beobachtete,
schien es, als ob eine von der anderen kaum Notiz
nähme, sie neben sich nur widerwillig dulde. Und doch
waren sie beisammen, strebten sichtlich alle nach demselben
Ziel.
    Und wie buntscheckig dieser Zug zusammengesetzt
war: von der drallen Bauerndirne mit dem Kopftuchund den plumpen Stiefeln bis zur feingliedrigen, eleganten
Dame. Doch ob Dame oder Dirne, der Ausdruck
ihrer Züge war der gleiche: lauschend in sich gekehrt,
voll ekstatischer Erwartung. Noch nie im Leben
sah ich solch eine sonderbare Versammlung. Es schien
wie eine wandernde Irrenanstalt, wie ein mittelalterlicher
Flagellantenzug.
    Trotz dieses gleichsam übersinnlichen Zieles blieb
die Notdurft des Alltags nicht ungestört. Wie auf ein
geheimes Geheiß wurden Lebensmittel beschafft,
wurde abgekocht, und alle, ob Bauerndirne oder
Dame, teilten schwesterlich den Vorrat.
    Der ganze Trupp wurde von einem großen Hund
umkreist. Er gehörte nicht einer einzelnen, sondern
zum Ganzen, wie ein Schäferhund zur Herde.
    Plötzlich stürzte der Hund auf mich zu mit freudigem
Bellen. Nun erkannte ich ihn erst: es war Rolf. Er
begrüßte mich nur flüchtig, dann lief er davon, um
weiter seine Herde in großen Sprüngen zu umkreisen.
Es war, als wolle er bloß einer Höflichkeitspflicht genügen,
die ihn von einer wichtigeren Arbeit nicht abhalten
durfte.
    Was machte der Hund in dieser Gegend, fünf Stunden
weit vom Gute Mariposa? Hatte er sich mit einer
dieser Pilgerinnen angefreundet? Man sah’s, dem
Hunde fehlte der Herr; er verwilderte zusehends.
    Plötzlich blitzte es in mir auf: Das sind ja die Vermißten
aus Nordsteiermark. Ich zählte sie, es waren
dreiundvierzig. Die Zahl stimmte, ich hatte sie deutlich
in Erinnerung. Und alles andere stimmte auch: die
Kontoristinnen, die Bäuerinnen und die Bürgerfrauen.
Da die blonde karyatidenhafte Schönheit — das ist die
Fabrikantengattin; und dort die Hochgewachsene imMurmelmantel, mit den feinen Fesseln — das ist die
Frau des Diplomaten.
    Das war eine schnurrige Entdeckung. Da liefen die
dreiundvierzig Vermißten am hellichten Tage herum,
alle hübsch beisammen, man suchte sie und fand sie
nicht. Wären sie jede einzeln ihres Weges gegangen, so
hätte man sie längst gefaßt. Das hieß wirklich den
Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Ich nahm mir
vor, dem nächsten Gendarmerieposten meine Entdeckung
mitzuteilen.

    N ach Wien zurückgekehrt,
war mein erster Weg in das Büro des mir bekannten
Detektivs. Doch ich erhielt den Bescheid, daß er verreist
sei.
    In mir arbeitete eine fortwährende Unruhe, die mich
antrieb, irgend etwas zur Aufklärung des Falles zu unternehmen.
    Plötzlich fuhr mir’s durch den Kopf: Pappafava
wollte ich um Rat fragen.
    Benvenuto Pappafava hatte in den letzten Jahren
einen internationalen Ruf als Graphologe erworben. Er
selbst lehnte die Bezeichnung Graphologe zwar ab und
behauptete, er sei Telepath, jedenfalls war das Medium,
dessen er sich zur Schöpfung seiner bisweilen
verblüffenden Erkenntnisse bediente, die Handschrift.
    Er hatte die Gabe, aus der Handschrift nicht nur die
Wesensart des Schreibers zu erkennen, sondern auch
die Pläne, mit denen er sich trug, die Gefahren, welche
ihn bedrohten, die Menschen, die ihn liebten oder haßten.Zeichnet die Graphologie gleichsam das Knochengerüst,
so malte seine feinere Kunst den atmenden,
vom Puls des Lebens bewegten Körper. Vergleicht man
die zünftige Handschriftendeutung mit der Photographie,
so

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