Papilio Mariposa
Presse nahezu tagtäglich Abgängigkeitsanzeigen.
Nur über Frauenspersonen, Frauen im Alter von achtzehn
bis fünfunddreißig Jahren.
Was daran auffallen mußte, war nicht nur die besondere
Häufigkeit, nicht nur, daß es ausnahmslos junge
Frauen, sondern daß sie alle miteinander in Graz und
in der Nordsteiermark wohnhaft waren.
Nun beschäftigte sich auch die Publizistik mit dieser
Angelegenheit. In ausführlichen Artikeln wurde konstatiert,
daß während der letzten zwei Wochen aus
Graz und der Nordsteiermark nicht weniger als dreiundvierzig
Personen weiblichen Geschlechtes verschwunden
waren.
Das konnte unmöglich ein bloßes Zusammentreffen
von Zufällen, das mußte auf eine gemeinsame Ursache
zurückzuführen sein.
Mutmaßlich auf ein Verbrechen.
Aber es war sehr schwer, in all diese verschiedenen
Einzelfälle ein System zu bringen, sie gleichsam auf
einen gemeinsamen Nenner zu reduzieren. Es waren
Angehörige der verschiedensten Berufs- und Gesellschaftsklassen:
Dienst- und Fabrikmädchen, Bauerndirnen,
Kontoristinnen, aber auch Töchter angesehener
Familien, eine Fabrikantenfrau — als Schönheit bekannt
—, eine Hocharistokratin und die Gattin eines
auswärtigen Diplomaten.
Selbstmord war fast bei keiner einzigen zu vermuten,
ebensowenig andere Ursachen einer plötzlichen Entfernung,
wie häusliche Zerwürfnisse, Liebesverstrickungen
und ähnliches.
Was war also, wer war also die Ursache? Ein Heiratsschwindler?Die Vermißten waren meist so arm, daß es
bei ihnen nichts herauszuschwindeln gab; ein Großteil
war überdies schon verheiratet. Ein Mädchenhändler?
Die finden ihre Opfer nur unter den Stellungsuchenden,
den Darbenden. Hier aber waren manche wohlhabend,
ja reich. Ein Frauenmörder?
Angstvolle Unruhe bemächtigte sich der Öffentlichkeit,
und die Behörden machten fieberhafte Anstrengungen,
um das Rätsel zu ergründen.
D as geheimnisvolle Verschwinden
Mariposas ließ mir fortan keine Ruhe. Ich
beschloß, mit aller Genauigkeit nachzuforschen, ob er
seinerzeit abgereist war oder nicht. Denn wenn er nicht
verreist war, dann mußte er einem Verbrechen zum
Opfer gefallen sein, anders war sein Schweigen nicht
erklärlich.
Dies zu ergründen war eine Freundespflicht, deren
Erfüllung keinen Aufschub duldete.
Ich fuhr nach der Eisenbahnstation, die seinem
Grundstück zunächst lag. Es war dies eine kleine Haltestelle,
wo ein einziger Beamter den Dienst versah. Bei
dem auffallenden Äußern Mariposas und dem geringen
Verkehr auf dieser Strecke war es nicht schwer,
Auskunft über ihn zu erlangen. Der Stationsbeamte erinnerte
sich deutlich Mariposas, wußte sogar, daß er
sich in dieser Gegend angekauft hatte. Er entsann sich,
daß er ihn zuletzt vor ungefähr einem Jahre auf der
Station gesehen hatte. Und zwar sah er ihn damals
zweimal: das erstemal bei der Abfahrt nach Wien, daszweite- und letztemal etwa zwei Wochen später bei der
Ankunft von Wien. Er erklärte mit voller Bestimmtheit,
daß Mariposa niemals mit großem Gepäck abgereist
war, wohl aber des öfteren mit großem Gepäck
eintraf. Zuletzt war dies vor Jahresfrist der Fall, und
damals war es auch das letztemal, daß er ihn überhaupt
sah.
Diese Angaben schienen mir durchaus verläßlich;
denn tatsächlich hatte Mariposa, als er von mir Abschied
nahm, große Einkäufe gemacht und das Gekaufte
gleich mit sich genommen.
Die Auskünfte, welche ich bei den Landleuten der
Umgebung einholte, stimmten völlig überein mit den
Angaben des Eisenbahnbeamten.
Das Ergebnis meiner Nachforschungen war also:
Mariposa war vor einem Jahre, nachdem er mich in
Wien besucht hatte, auf seinem Landgute wohl eingetroffen,
aber er hatte es seither nicht verlassen. Er war
nicht verreist, sondern verschwunden.
Folglich war er ermordet worden. Als Täter kamen
nur die Pächtersleute in Betracht.
Aber ich glaubte nach wie vor nicht an ihre Schuld.
Nicht zu reden von ihrem guten Rufe und von Mariposas
Lob, so fehlte es an jeglichem vernünftigem Motiv
zu einem Verbrechen. Mariposa verfügte nur über ganz
wenig Bargeld, ließ alle Zahlungen durch seine Bank
oder durch mich besorgen — was sie allerdings vielleicht
nicht wußten, so daß sie bei ihm große Goldschätze
vermuten mochten, jedenfalls mußten sie damit
rechnen, daß seine Abwesenheit auf die Dauer
nicht unentdeckt bleiben konnte und daß es dann mit
dem für sie äußerst günstigen Pachtvertrag ein Ende
habe. Dagegen durften sie erwarten, in Pacht zu bleiben,solange er lebte. Für sie
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