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Papilio Mariposa

Papilio Mariposa

Titel: Papilio Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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seiner Praxis.
Da ich plaudernd auf und ab ging, konnte ich nur
Bruchstücke des Gespräches hören.
    »Hochgebildeter Mensch, Universitätsprofessor . . .
Sonst völlig normal . . . Schmetterling von der Größe
eines Menschen . . .«
    »Wie, Schmetterling von der Größe eines Menschen?
Merkwürdige Halluzination . . .«
    »Nicht Halluzination, Wunschtraum . . .«
    Kaum hatte ich dies gehört, da unterbrach ich das
Gespräch, und zur Verwunderung meines Klienten,
zur Verwunderung der anderen lief ich auf Heinold zu
und fragte ihn: »Wie war das doch mit dem Schmetterling,
Herr Professor?«
    Aber im nächsten Augenblick wurde er in den Saal
gerufen und konnte mir Antwort nicht geben.
    Und nun höre man und lache. Noch am selben
Nachmittag war ich bei Dr. Heinold und erfragte von
ihm — nicht ohne schwere Mühe, denn er verschanzte
sich hinter dem ärztlichen Berufsgeheimnis — Namen
und Adresse des Patienten mit dem Schmetterlingstraum.
Es war dies ein Dr. Möller, Universitätsprofessor
im Ruhestande, wohnhaft in Graz.
    Zwei Tage später, an einem Sonntag, stand ich vorder hübschen kleinen Villa, die Professor Möller in
Graz, am Fuße des Rosenberges, bewohnte.
    Ein wenig zaghaft trat ich ein. Denn eigentlich war
es doch eine Dreistigkeit, einen wildfremden Menschen
so zu überfallen und nach seinen nervösen Störungen
auszufragen.
    Meine Befürchtungen wurden zerstreut durch die
Liebenswürdigkeit, mit der ich empfangen wurde. Herr
Professor Möller war ein stattlicher alter Herr, dem
man den Gelehrten, aber auch den rüstigen Touristen
sogleich ansah. Doch stand die gesunde Bräune seiner
Gesichtsfarbe in einem sonderbaren Gegensatz zu der
unverkennbaren Melancholie, welche seine Züge überschattete.
    Ich kam sogleich auf den Zweck meines Besuches zu
sprechen und fragte ihn, ob er geneigt sei, mir über
seine merkwürdige Schmetterlings-Halluzination Näheres
mitzuteilen. Nicht müßige Neugierde habe mich
bestimmt, die Reise von Wien nach Graz zu unternehmen,
sondern gewichtige Gründe, die ich bereit sei,
ihm zu eröffnen.
    »Sie sehen nicht aus wie ein neugieriger Müßiggänger«,
unterbrach er mich. »Ihre Gründe können Sie
mir später mitteilen, wenn Sie wollen; ich zweifle nicht
an ihrer Wichtigkeit. Ich bin nicht boshaft genug, Sie
unverrichteterdinge abziehen zu lassen. Es ist ja auch
nichts Beschämendes, von einer Krankheit, noch dazu
von einer überstandenen, zu erzählen. Nur setze ich
voraus, daß Sie meine Erzählung für sich behalten werden.«
    Nachdem ich dies versprochen, schien es ihm sogar
erwünscht, sich jemandem mitteilen zu können, und er
begann: »Seit ich in den Ruhestand getreten bin,wohne ich in Graz, hier in dieser kleinen Villa. Sie ist,
wie Sie sehen, ziemlich einsam gelegen.
    Vor etwa einem Monat, der Abend war besonders
mild, saß ich draußen auf dem Balkon. Die Fenster der
Wohnung waren offen; drinnen in der Stube musizierte
meine Enkelin. Es war ein außergewöhnlich
schönes Stück, das sie da auf dem Klavier spielte:
schwermütig und doch seltsam hinreißend. Ich kenne
nicht den Namen des Komponisten, vielleicht Chopin
oder Beethoven; ich verstehe nicht viel von Musik.
    Plötzlich hörte ich über mir Flügelschläge. Das
mußte ein sehr großer Vogel sein, der da über mir dahinstrich;
denn das Rauschen seiner Fittiche war mächtig.
Ich blickte empor, doch es war nichts mehr zu sehen.
    Aber als meine Enkelin mit dem Spiel zu Ende war
und den Deckel des Klaviers zuschlug, da rauschte es
wieder auf über dem Dache. Fast war’s, wie wenn das
Tier irgendwo da droben heimlich der Musik gelauscht
hätte. Nun kam es daher geflogen, hinter dem Dache
hervor.
    Es war kein Vogel, es war ein Tier, dessen Existenz
ich nie für denkbar gehalten hätte: ein riesenhafter
Schmetterling. Ein Schmetterling, so hoch wie ein
Mensch und mit Flügeln, mächtiger als ein Geier.
    Ich hatte gerade noch die Kraft, ins Zimmer zu wanken
und die Balkontür zuzuschlagen.
    Als ich zu mir kam, war’s verschwunden, und ich
glaubte an eine Halluzination. Aber ich war eigentümlich
deprimiert, denn ich hatte bisher noch nie in meinem
Leben an Halluzinationen gelitten und hielt es für
ein Symptom von Altersschwäche, für einen Vorboten
des Todes.
    Die nächsten Tage war trübes Wetter. An dem ersten
klaren Abend — wiederum saß ich auf dem Balkon,
und wieder musizierte meine Enkelin bei offenem
Fenster —, da kam das Tier zum zweiten Male.
    Mit sausendem Flügelschlag kam er

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