Papillon
Herr Konsul«, sage ich auf französisch, »danke vielmals, daß Sie sich für mich eingesetzt haben.«
»Mein Gott, was müssen Sie in diesen grauenhaften Zellen mitgemacht haben! Schnell, gehen Sie! Ehe dieses Vieh seine Meinung ändert! Ich werde Sie besuchen. Auf Wiedersehen!«
Der Friseur ist nicht da, und man bringt mich wieder zu meinen Freunden. Ich muß gut ausgesehen haben, denn sie sagten immer wieder: »Du bist es! Nicht möglich! Was haben sie denn mit dir gemacht, diese Hundegesellen? Dich so herzurichten! Rede doch, Papillon, sag was! Bist du blind? Was ist denn mit deinen Augen los? Warum klappst du sie dauernd auf und zu?«
»Ich kann mich an das Licht nicht gewöhnen. Das Tageslicht tut mir weh, meine Augen sind nur an Finsternis gewöhnt.«
Ich setze mich mit dem Rücken gegen das Gitter und blicke ins Innere der Zelle. »So, das ist jetzt besser.«
»Du riechst unglaublich nach Kloake! Dein ganzer Körper stinkt!«
Ich ziehe mich nackt aus, und sie legen mein Zeug an die Tür. Meine Arme, mein Rücken, meine Schenkel sind von den winzigen Krabben, die mit jeder Flut in meinen Käfig geschwommen kamen, zerbissen wie von Wanzen. Entsetzlich. Ich brauche keinen Spiegel, um mich davon zu überzeugen. Die fünf Sträflinge verstummen bekümmert, als sie mich in diesem Zustand sehen. Clousiot ruft einen Polizisten und sagt, wenn schon kein Friseur da sei, so gebe es doch Wasser im Hof. Der aber meint, wir sollten die Ausgangszeit abwarten.
Ich gehe nackt hinaus. Clousiot trägt das saubere Zeug, das ich anziehen soll. Mit Maturettes Hilfe wasche ich mich mit der schwarzen einheimischen Seife. Je mehr ich wasche, desto mehr Schmutz geht herunter.
Ich wasche mich wieder und wieder. Nach öfterem Einseifen und Spülen fühle ich mich endlich einigermaßen sauber. Fünf Minuten lasse ich mich an der Sonne trocknen, dann ziehe ich mich an. Der Friseur kommt. Er will mir den Kopf scheren. »Nein«, sage ich, »schneide mir die Haare kurz, aber normal.
Und rasiere mich. Ich zahle.«
»Wieviel?«
»Einen Peso.«
»Mach es gut«, sagt Clousiot zu ihm, »ich gebe einen Peso dazu.«
Gewaschen, rasiert, in sauberen Sachen und mit geschnittenen Haaren fühle ich mich wie neugeboren. »Wie hoch war das Wasser?« fragen mich meine Freunde immer wieder. »Und die Ratten, die Tausendfüßler, der Schlamm und die Krabben? Und die Scheiße aus den Abtrittseimern? Und die Leichen, die herausgeschwemmt werden? Waren es natürliche Tote oder erhängte Selbstmörder? Oder ›Selbstmörder‹, die die Polizei gemacht hat?«
Die Fragen nahmen kein Ende, und das viele Reden machte mich durstig. Im Hof war ein Kaffeeausschank.
In den drei Stunden, die wir uns im Hof aufhielten, habe ich mindestens zehn Schalen starken, mit Melasse gesüßten Kaffee getrunken. Er schien mir das beste Getränk der Welt.
Der Schwarze aus der Zelle gegenüber kommt mir guten Tag sagen. Er setzt mir halblaut die Sache von dem belgischen Konsul und seiner Mutter auseinander. Ich drücke ihm die Hand. Er ist sehr stolz darauf, meine Rückkehr an die Oberwelt in die Wege geleitet zu haben. »Genug für heute«, sagt er und geht glücklich. »Morgen reden wir weiter.«
Die Zelle meiner Freunde kommt mir wie ein Palast vor. Clousiot hat eine Hängematte, die ihm gehört, er hat sie von seinem Geld gekauft. Er nötigt mich, mich hineinzulegen. Ich strecke mich darauf der Quere nach aus. Er wundert sich darüber, und ich erkläre ihm, daß er mit einer Hängematte noch lange nicht richtig umgehen kann, wenn er sie nur der Länge nach benützt.
Essen, trinken, schlafen, Dame spielen, mit spanischen Karten spielen, unter uns und mit den Polizisten spanisch reden, um die Sprache zu erlernen, das sind die Tätigkeiten, die unseren Tag und sogar einen Teil der Nacht ausfüllen. Es ist hart, sich um neun Uhr abends hinlegen zu müssen. Dann überfallen mich die Einzelheiten der Flucht aus dem Spital von Saint-Laurent bis nach Santa Marta und ziehen wie ein Film an meinem Geist vorüber. Der Film darf hier nicht abreißen, er muß weitergehen, Mensch, und er
wird
weitergehen. Laßt mich nur erst zu Kräften kommen! Ich habe meine kleinen Pfeile gefunden und zwei Kokablätter, ein getrocknetes und« eines, das noch grün ist. Ich kaue das grüne. Alle schauen mir verblüfft zu. Ich erkläre meinen Freunden, daß es eines der Blätter ist, aus denen man Kokain gewinnt.
»Du machst dich über uns lustig!«
»Koste!«
»Ja, tatsächlich – es
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