Papillon
meinen Kameraden wieder in den Hof läßt. Zehn Tage später befinden wir uns, dank Joseph, wieder in dem alten Käfig im Hof, mit den Kolumbiern selbstverständlich.
Dort angekommen, fordere ich alle auf, Fernando und seinen beiden toten Freunden einige Gedenkminuten zu widmen. Bei seinem nächsten Besuch berichtet mir Joseph, daß er unter den Zuhältern eine Sammlung veranstaltet habe, bei der fünftausend Pesos zusammenkamen. Damit sei es ihm gelungen, Don Gregorio zu gewinnen. Die Zuhälter steigen in unserer Achtung.
Was jetzt? Etwas Neues erfinden? Ich gebe mich nicht geschlagen. Ich denke nicht daran, tatenlos die Ankunft des Schiffes abzuwarten.
Im allgemeinen Waschraum liegend, vor der bleiern lastenden Sonnenhitze geschützt, kann ich, ohne selbst bemerkt zu werden, durch das Fenster den Zirkus der Wachtposten oben auf der Mauer studieren. Nachts rufen sie sich abwechselnd alle zehn Minuten zu: »Wache, habt acht!« So kann der Chef der Wache am besten feststellen, ob keiner von den vieren schläft. Wenn einer keine Antwort gibt, wiederholt ein anderer den Ruf, bis der Schläfer sich meldet.
Ich glaub, ich hab’s! Hängt da nicht von jedem Wachtturm an den vier Ecken an einer Schnur eine Dose herunter! Will der Posten Kaffee trinken, so ruft er
den
»Cafetero«, der ihm eine oder zwei Tassen in die Dose gießt. Er braucht sie dann nur an der Schnur hinaufzuziehen. Der Wachtturm ganz rechts springt etwas über den Hof vor. Wenn ich mir einen starken Haken fabriziere und daran eine geflochtene Schnur befestigte, müßte er dort oben leicht hängenbleiben. In wenigen Sekunden müßte ich über der Mauer sein, an der die Straße vorbeiläuft. Das einzige Problem: Wie kriege ich die Wache weg?
Ich sehe, wie der Posten aufsteht und ein paar Schritte die Mauer entlanggeht. Er macht den Eindruck, als kämpfte er bei der Hitze verzweifelt gegen den Schlaf. Das ist es, du lieber Gott! Ich muß ihn einschläfern!
Ich werde zuerst einmal die Schnur machen, und wenn ich einen sicheren Haken finde, werde ich den Kerl einschläfern und mein Glück versuchen.
In zwei Tagen habe ich eine fast sieben Meter lange Schnur aus den stärksten Leinenhemden geflochten, die ich finden konnte, vor allem aus Khakihemden. Der Haken war relativ leicht zu finden: er stützt eines der über den Zellentüren angebrachten Schutzbleche, die den Regen abhalten sollen. Joseph hat mir eine Flasche mit einem sehr starken Schlafmittel gebracht. Laut Etikett soll man immer nur zehn Tropfen nehmen.
In der Flasche sind ungefähr sechs Suppenlöffel von dem Zeug. Ich gewöhne den Posten daran, sich von mir den Kaffee geben zu lassen. Er läßt mir die Dose herunter, und ich schicke ihm jedesmal drei Tassen hinauf. Da alle Kolumbier gern Alkohol trinken und das Schlafmittel leicht nach Anis schmeckt, lasse ich mir eine Flasche Anisschnaps bringen.
»Willst du den Kaffee auf französisch?« frage ich den Posten eines Tages.
»Was ist das?«
»Mit Anis.«
»Laß mich mal kosten.«
Mehrere Posten haben bereits meinen Kaffee mit Anis gekostet, und wenn ich ihnen jetzt Kaffee anbiete, sagen sie immer: »Auf französisch!«
»Wie du willst.« Und peng! gieße ich ihnen Anis hinein. Der entscheidende Moment ist gekommen. Es ist Samstag mittag und entsetzlich heiß. Meine Freunde wissen, daß es unmöglich ist, es zu zweit zu versuchen, aber ein Kolumbier mit dem arabischen Namen Ali sagt, daß er hinter mir hinaufklettern will. Mir ist das recht. So vermeide ich, daß nachher vielleicht ein Franzose als mein Komplize bestraft wird.
Ich kann die Schnur und den Haken nicht gleich bei mir tragen, denn der Posten hat Zeit, mich zu beobachten, während ich ihm den Kaffee eingieße.
Nach unserer Meinung, muß er in längstens fünf Minuten k. o. sein.
Es ist »fünf vor«. Ich rufe den Posten.
»Geht’s gut?«
»Es geht.«
»Kaffee?«
»Ja. Auf französisch. Der ist besser.«
»Warte, ich bring ihn.«
Ich gehe zum »Cafetero«: »Zwei Kaffee.« Ich habe bereits das ganze Schlafmittel in die Dose geschüttet.
Wenn er da nicht auf der Stelle umfällt… Ich komme unten bei ihm an und gieße vor seinen Augen den Anis hinein.
»Willst du ihn stark?«
»Ja.«
Ich gieße noch etwas dazu, schütte das Ganze in die Büchse, und er zieht es hinauf.
Fünf Minuten vergehen, zehn, fünfzehn, zwanzig Minuten. Er schläft noch immer nicht. Ja schlimmer als das, anstatt sich zu setzen, geht er, mit dem Gewehr in der Hand, hin und her. Aber er hat
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