Papillon
sie interessiert niemanden mehr. Eine Chance für mich.
Nach einigen Tagen bietet mir Joseph Dega an, etwas von draußen zu organisieren. Da ich ihm sage, daß nachts eine Flucht wegen der Beleuchtung der Mauer ausgeschlossen ist, sucht er nach einer Möglichkeit, den Strom zu unterbrechen. Mit Hilfe eines Elektrikers, den er auftreibt, wird er den Schalthebel eines außerhalb des Gefängnisses liegenden Transformators herunter kippen.
Jetzt bleibt mir nichts mehr zu tun, als den Wachtposten auf der Straßenseite und den an der Kapellentür im Hof zu bestechen. Aber das ist schwieriger, als wir glauben. Vorher muß ich nämlich Don Gregorio dazu bringen, mir, der ich vorgebe, durch Josephs Vermittlung Geld an meine Familie zu schicken, zehntausend Pesos herauszugeben. Selbstverständlich mit der Verbindlichkeit, ihm zweitausend Pesos zu überlassen, damit er seiner Frau ein Geschenk machen kann. Und nachdem wir den Mann ausfindig gemacht haben, der für die Einteilung der Wachtposten zuständig ist, müssen wir auch den noch bestechen. Er soll dreitausend Pesos bekommen, aber er will nicht bei den Verhandlungen mit den beiden anderen Posten für mich intervenieren, ich muß sie selbst ausfindig machen und ganz allein mit ihnen verhandeln. Dann soll ich ihm ihre Namen nennen, und er wird ihnen die Wache übergeben.
Die Vorbereitungen zu diesem neuen Fluchtversuch nehmen mehr als einen Monat in Anspruch. Endlich ist alles festgelegt. Da wir uns nicht mit dem Polizisten im Hof aufhalten wollen, sägen wir die Eisengitter mit einer Metallsäge aus seiner eigenen Werkzeugkiste durch. Ich habe drei Klingen dafür. Der Kolumbier mit dem Haken, diesmal heißt er Pablo, ist eingeweiht. Er sägt seine Stange in mehreren Etappen durch. In der Ausbruchsnacht soll einer seiner Freunde, der seit einiger Zeit den Verrückten spielt, auf ein Stück Zinkblech treten und zu brüllen beginnen. Der Kolumbier weiß, daß der Posten, der nur den Ausbruch von zwei Franzosen unterstützen will, gesagt hat, daß er schießen würde, falls ein dritter die Mauer hinaufsteigt.
Trotzdem will er sein Glück versuchen. Er meint, wenn einer dem andern im Dunkeln auf die Schultern steigt, könnte der Posten nicht sehen, ob es zwei oder drei sind. Clousiot und Maturette haben ausgelost, welcher von ihnen mitkommen soll. Clousiot hat das Los gezogen.
Die Neumondnacht ist da. Der Sergeant und die Polizisten haben die Hälfte der Scheine bekommen, die jeder von ihnen erhalten soll. Diesmal brauchte ich sie nicht zu zerschneiden, sie waren es bereits. Die andere Hälfte müssen sie sich im Barrio Chino bei der Frau Joseph Degas holen.
Das Licht geht aus. Wir machen uns an die Eisenstangen. In knapp zehn Minuten sind sie durchgesägt. In Hose und dunklem Hemd verlassen wir die Zelle. Der Kolumbier schließt sich uns an, er ist bis auf eine schwarze Unterhose nackt. Ich erklettere das Gittertor des »Calabazo«, des Gefängnisses, das in die Mauern eingelassen ist, umgehe das Schutzdach und werfe den neuen Haken, der an einer drei Meter langen Schnur hängt, hinauf. In knapp drei Minuten bin ich, ohne den geringsten Lärm zu machen, auf dem Mauergang oben. Auf dem Bauch liegend, erwarte ich Clousiot. Es ist sehr finster. Ich sehe oder vermute vielmehr eine Hand, die sich mir entgegenstreckt, ergreife sie und ziehe sie herauf. Ein entsetzlicher Lärm.
Clousiot ist mit dem oberen Rand seiner Hose an dem Schutzblech hängengeblieben. Ich lasse ihn aus, und es ist wieder still. In der Meinung, daß er sich inzwischen losgemacht hat, beginne ich wieder zu ziehen, reiße trotz dem höllischen Lärm, den das Zinkblech macht, gewaltig an und ziehe Clousiot auf die Mauer.
Nicht die unseren, aber die anderen Posten schießen. Davon irritiert, springen wir, anstatt etwas weiter rechts, wo die Mauer fünf Meter hoch ist, an der falschen Stelle auf die Straße, die hier neun Meter unter uns liegt. Ergebnis: Clousiot bricht sich von neuem das rechte Bein. Und ich kann mich genausowenig erheben: ich habe mir beide Füße gebrochen. Später stellt sich heraus, daß es die Fersenknochen sind. Der Kolumbier hat sich ein Knie verrenkt. Von den Schüssen alarmiert, laufen unten die Wachtposten auf die Straße hinaus. Im Licht einer großen Laterne werden wir mit angelegten Gewehren umstellt. Ich heule vor Wut. Obendrein wollen mir die Polizisten nicht glauben, daß ich nicht aufstehen kann. Auf den Knien krieche ich unter den zustoßenden Bajonetten ins Gefängnis
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