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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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Sie!«
    Es kam selten vor, daß man nicht mitten in der Nacht einen dieser Ausrufe, wenn nicht alle drei hörte.
    Clousiot und ich fragten uns, wem diese Worte in der Nacht wohl galten, und weshalb?
    Heute nachmittag fand ich den Schlüssel zu diesem Geheimnis. Es ist einer der Hauptakteure, der es mir enthüllt. Er heißt Marius de La Ciotat, Spezialist in Geldschränken. Als er hörte, daß ich seinen Vater Titin kannte, fürchtete er sich nicht mehr, mit mir zu reden.
    Nachdem ich ihm ein Stück von meiner Flucht erzählt habe, frage ich ihn, was ganz normal ist: »Und du?«
    »O ich«, sagt er, »ich sitze in einer faulen Geschichte. Ich habe Angst, wegen eines einfachen Ausbruchs fünf Jahre zu kriegen. Ich habe, was man hier die ›Flucht der Menschenfresser‹ nennt, mitgemacht. Wenn du öfters in der Nacht rufen hörst: ›Sie haben das oder das verschluckt‹, oder ›Ein Ragout, bitte sehr‹ und solche Sachen, dann gilt das den Brüdern Graville.
    Wir sind
zu
sechst aus Kilometer 42 weg. Bei der Flucht mit dabei waren Dede und Jean Graville, zwei Brüder von dreißig und fünfunddreißig Jahren aus Lyon, dann ein Neapolitaner aus Marseille und ich, und dann noch ein Bursch aus Angers mit einem Holzbein und ein dreiundzwanzigjähriger Junge, der ihm als Frau diente. Wir waren schon über den Maroni hinaus, aber auf See konnten wir nicht richtig in Fahrt kommen, und in wenigen Stunden wurden wir an die Küste von Holländisch-Guayana getrieben. Nichts war bei dem Schiffbruch zu retten, die Lebensmittel nicht und auch sonst nichts. Wir haben uns, zum Glück angekleidet, im Busch wiedergefunden. Ich muß sagen, daß es an der Stelle keinen Strand gab, das Meer ging bis in den Urwald hinein, der war undurchdringlich wegen der umgestürzten Bäume, die entweder abgebrochen oder vom Meer entwurzelt und ineinander verschlungen waren. Nachdem wir den ganzen Tag marschiert waren, gelangten wir auf trockenen Grund. Wir teilten uns in drei Gruppen: die Brüder Graville ich und Guesepi – das Holzbein und sein kleiner Freund. Zwölf Tage nachdem wir in verschiedenen Richtungen gegangen waren, trafen wir uns, die Brüder Graville und Guesepi und ich, fast an der gleichen Stelle, an der wir uns getrennt hatten, wieder. Die Gegend war rundum von endlosem Schilfwald und Morast umgeben, weit und breit, und wir hatten alle miteinander keine Passage gefunden. Unmöglich, dir zu beschreiben, wie wir ausgesehen haben! Wir hatten seit dreizehn Tagen nichts anderes als Baumwurzeln oder junge Triebe gegessen. Halbtot vor Hunger und Müdigkeit, total am Ende, beschlossen wir, daß Guesepi und ich mit letzter Kraft ans Meerufer zurückkehren und dort möglichst hoch an einem Baum ein Hemd anbinden sollten, um uns dann dem erstbesten holländischen Küstenschiff zu übergeben, das an dieser Stelle sicherlich vorüberkommen würde. Die Graville hingegen sollten, nachdem sie sich ein paar Stunden ausgeruht hatten, sich auf die Suche nach den beiden andern machen. Das konnte nicht so schwer sein, denn wir hatten bei der Trennung vereinbart, daß jede Gruppe an den umgestürzten Bäumen eine Spur zurückläßt. Schon nach wenigen Stunden sehen sie den Burschen mit dem Holzbein allein zurückkommen.
    ›Wo ist dein Kleiner?‹
    ›Sehr weit von hier. Er konnte nicht mehr.‹
    ›Du bist zum Kotzen! Ihn einfach zurücklassen!‹
    ›Er wollte es. Er wollte, daß ich umkehre.‹
    In dem Moment bemerkt Dede, daß der Kerl an seinem einzigen Fuß einen Schuh des Jungen trägt.
    ›Und obendrein hast du ihn barfuß gehen lassen, um seinen Schuh anziehen zu können! Ich gratuliere! Du scheinst auch sonst in Form zu sein, nicht so verhungert wie wir, du hast gegessen, das sieht man!‹

›Ja, ich habe einen dicken verwundeten Affen gefunden.‹ – ›Da hattest du aber Glück!‹ – Und bei diesem Wort richtet sich Dede mit dem Messer in der Hand auf. Er sieht nämlich, daß auch der Brotbeutel des anderen gefüllt ist.
    ›Mach den Beutel auf. Was hast du da drinnen?‹
    Der Bursch aus Angers macht den Beutel auf, und ein Stück Fleisch kommt zum Vorschein. ›Was ist das?‹
    ›Ein Stück von dem Affen.‹
    ›Du Schwein, du hast den Jungen tot gemacht, um ihn aufzuessen!‹
    ›Nein, Dede, ich schwöre dir, er ist vor Müdigkeit gestorben, und da habe ich ein Stück von ihm gegessen, entschuldige!‹
    Kaum hat er das gesagt, sitzt auch schon das Messer in seinem Bauch. Beim Durchsuchen hat Dede noch ein Lederetui mit Streichhölzern

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