Papillon
gehalten. Von Zeit zu Zeit geht der Kaffeekoch durch den Saal und bietet Kaffee oder Kakao in einer Art hausgemachtem Thermostopf an. Schließlich gibt es die »Masche«
der fliegenden Händler. Es ist so etwas wie eine handwerkliche »Masche«. Einige verarbeiten Stücke aus den Panzern der Schildkröten, die die Fischer erbeutet haben, zu allerhand Gebrauchsgegenständen und Schmuckstücken. Ein Schildkrötenpanzer ist aus verschiedenen Platten zusammengesetzt wie ein Mosaik, jede dieser Platten hat ein ganz beträchtliches Gewicht. Der Kunsthandwerker zerlegt den Panzer und macht aus dem so gewonnenen Rohmaterial je nach Eignung Kämme, Bürstenrücken, Zigarettenspitze, Halsketten, Armreifen, Ohrringe. Ich habe sogar eine wirklich wunderschöne, aus hellem Schildpatt gemachte Kassette gesehen. Andere schnitzen Gegenstände aus Kokosschalen, Rinder- und Büffelhörnern, aus Ebenholz und aus einheimischen Hölzern von den Inseln, sie sehen wie Schlangen aus. Andere sind Meister der Kunsttischlerei und stellen Gegenstände ganz ohne Nagel her, nur höchst genau aus einzelnen Stücken zusammengefügt. Die besonders Begabten arbeiten in Bronze. Nicht zu vergessen die Kunstmaler.
Es kommt vor, daß sich mehrere Talente zusammentun, um einen einzigen Gegenstand herzustellen. Zum Beispiel nimmt ein Fischer einen Haifisch. Er präpariert dessen offenes Maul, poliert und schleift die Zähne glatt. Ein Kunsttischler macht ein verkleinertes Modell von einem Anker aus weichem und fein gemasertem Holz, breit genug, um darauf malen zu können. Dann wird das offene Haifischmaul an diesem Anker befestigt, auf den ein Maler die lies du Salut, umgeben vom Meer, malt. Das häufigste Sujet dafür ist folgendes: Man sieht die Spitze der Insel Royale, die Meerrinne, und dann die Insel Saint -Joseph. Die untergehende Sonne entsendet leuchtend-feurige Strahlen aufs blaue Meer. Auf dem Wasser ein Boot mit sechs aufrecht stehenden Sträflingen, die Oberkörper nackt, die Ruder erhoben, und drei Wächter am Heck, mit Maschinenpistolen in den Händen. Am Bug heben zwei Männer einen Sarg hoch, von dem, in einen Mehlsack gehüllt, der Körper eines toten Sträflings ins Meer gleit et. Man bemerkt Haifische an der Wasseroberfläche, die mit offenem Maul die Leiche erwarten. Rechts unten neben dem Bild steht:
»Begräbnis auf Royale« – und das Datum dazu.
Alle diese verschiedenen Waren werden in den Häusern der Aufseher verkauft. Die schönsten Stücke sind häufig beangabt oder werden nur auf Bestellung gemacht. Den Rest verkaufen sie auf den Schiffen, die an den Inseln vorbeikommen. Das ist die Domäne der Ruderer. Es gibt auch die Fälscher, solche, die einen alten, verwitterten Becher nehmen und darauf eingravieren: »Dieser Becher gehörte Dreyfus – Teufelsinsel Datum.« Das gleiche geschieht mit Löffeln und Eßgeschirr.
Dieser ständige Handel bringt viel Geld auf die Inseln, und die Aufseher sind interessiert daran. Sie glauben, daß die Männer auf diese Weise leichter zu führen sind und sich mit dem neuen Leben besser abfinden.
Die Homosexualität trägt öffentlichen Charakter. Bis hinauf zum Kommandanten weiß jeder, daß ein Jemand mit einem anderen Jemand Frau und Mann sind, und wenn man den einen auf eine andere Insel schickt, wird alles darangesetzt, ihm den anderen schnell nachzuschicken, wenn nicht ohnehin schon darauf Bedacht genommen wurde, die beiden beisammen zu lassen.
Kaum drei Prozent von allen diesen Männern versuchen von den Inseln zu fliehen. Nicht einmal die, die Lebenslänglich haben. Die einzige Möglichkeit, die es gibt, ist, mit allen Mitteln zu versuchen, aus der Internierung herauszukommen und nach Saint-Laurent, Kourou oder Cayenne geschickt zu werden. Das lohnt sich aber nur für die auf Zeit Internierten. Die Lebenslänglichen können das nur durch einen Mord erreichen. Wenn man jemanden getötet hat, wird man nach Saint-Laurent vors Gericht gebracht. Aber da man, um dorthin zu kommen, ein Geständnis abgelegt haben muß, riskiert man fünf Jahre Strafhaft wegen Mordes, ohne daß man den kurzen Aufenthalt in der Disziplinarhaft von Saint-Laurent – höchstens drei Monate – für eine Flucht ausnützen könnte.
Man kann auch versuchen, aus medizinischen Gründen aus der Absperrung herauszukommen. Wenn man als Tuberkulöser anerkannt wird, wird man ins Lager der Tuberkulösen gebracht, ins sogenannte »neue Lager«, achtzig Kilometer von Saint-Laurent. Es gibt auch die Lepra oder die
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