Papillon
tat, wenn der Gammler heimkam. Sofort fängt die Frau zu schreien an: »Zu Hilfe, er vergewaltigt mich!« Die beiden Aufseher betreten das Zimmer gerade in dem Augenblick, wo die Frau sich aus den Armen des Sträflings frei macht, der schnell aus dem Fenster springt, während der Gehörnte hinter ihm dreinschießt. Eine Kugel erwischt ihn in der Schulter, inzwischen zerkratzt sich das Weib schnell Brust und Wangen, zerreißt auch ihren Morgenrock. Der Uhrmacher stürzt, und in dem Augenblick, da der Bretone ihn packen will, entreißt ihm der andere Hundsfott die Waffe. Du mußt wissen, daß der andere ein Korse war und natürlich sofort kapierte, daß ihm sein Chef eine ganz blödsinnige Geschichte aufgetischt hatte. Beim Arsch, das war keine Vergewaltigung! Aber der Korse konnt e dem Bretonen das wieder nicht sagen und tat so, als ob er an die Vergewaltigung glaubte. Der Uhrmacher wurde zum Tod verurteilt. Bis hierher, mein Alter, ist die Geschichte nichts Besonderes, aber was nachher kam, macht sie interessant.
Auf Royale, im Strafgebäude, befindet sich eine Guillotine, jeder Teil von ihr wird in einem anderen abgesonderten Raum aufbewahrt. Im Hof sind die fünf Steinplatten, auf denen man sie errichtet, fein und gerade geschliffen. Jede Woche stellt der Henker mit seinen Gehilfen, zwei Sträflingen, die Guillotine mitsamt dem Messer und dem übrigen Krempel auf, und dann schneiden sie ein oder zwei Baumstrünke auseinander. Auf diese Weise vergewissern sie sich, ob die Guillotine noch immer in Schuß ist.
Der Savoyarden-Uhrmacher war jedoch in einer Todeszelle mit vier anderen Verurteilten untergebracht, drei Arabern und einem Sizilianer. Alle fünf erwarteten eine Antwort auf ihr Gnadengesuch, das die sie verteidigenden Aufseher eingebracht hatten.
Eines Morgens wird die Guillotine aufgestellt und die Tür zum Savoyarden heftig aufgerissen. Die Henker werfen sich auf ihn, fesseln ihm die Beine und binden ihm die Handgelenke mit demselben Strick, an dem seine Beine hängen. Und so muß er im frühmorgendlichen Halbdunkel an die zwanzig Meter dahintrippeln.
Du mußt wissen, Papillon, wenn du vor der Guillotine stehst, siehst du ein schwankendes Brett, an dem Eisenbügel befestigt sind. Dort wirst du angehängt. Man hängt ihn also an und beginnt, das Brett, über das sein Kopf hinausragt, ins Schwanken zu bringen, als plötzlich unser jetziger Kommandant erscheint, der bei jeder Exekution anwesend sein muß. Er hält eine große Sturmlaterne in der Hand, und kaum hat er die Szene beleuchtet, merkt er, daß diese Idioten sich geirrt haben: sie sind im Begriff, dem Uhrmacher den Kopf abzuschneiden, der an eben diesem Tag überhaupt nichts in dieser Zeremonie zu suchen hat.
»Aufhören!« schreit Barrot. Er ist so erschrocken, daß es ihm die Rede verschlägt. Er läßt die Laterne fallen, stößt alle beiseite, die Aufseher und die Henker, und bindet eigenhändig den Savoyarden los. Schließlich kommt er zu sich und befiehlt: ›Bringt ihn in seine Zelle zurück. Sanitäter, kümmere dich um ihn. Verlassen Sie ihn nicht, geben Sie ihm Rum. Und ihr idiotischen Kretins, lauft und holt schnell den Rencasseu, der wird heute exekutiert und nicht ein anderer!‹
Am nächsten Tag hat der Savoyarde ganz weiße Haare, so wie du es heute gesehen hast. Sein Advokat, ein Aufseher aus Calvi, schrieb ein neues Gnadengesuch an den Justizminister, in dem er den ganzen Vorfall schilderte. Der Uhrmacher wurde begnadigt, zu Lebenslänglich. Seither verbringt er die Zeit damit, die Uhren der Aufseher zu reparieren. Es ist seine Leidenschaft. Er beobachtet sie lange Zeit, daher die vielen aufgehängten Uhren auf dem Brett. Jetzt verstehst du bestimmt, daß er das Recht hat, ein wenig angerührt und absonderlich zu sein, der arme Tropf, ja?«
»Natürlich versteh ich’s. Nach einem solchen Schock. Er tut mir leid.«
Jeden Tag lerne ich etwas hinzu über dieses neue Leben. Die »Casa A« ist wirklich eine Ansammlung von gefährlichen Männern, sowohl was ihre Vergangenheit anlangt wie auch ihr ganzes Verhalten im Alltag. Ich arbeite noch immer nicht: ich warte auf den Posten eines Müllführers, der mir nach einer Dreiviertelstunde Arbeit die Freiheit auf der Insel gibt und das Recht, fischen zu gehen.
An diesem Morgen während des Appells für den Arbeitszug der Kokospalmenpflanzer wird Jean Castelli aufgerufen. Er tritt aus der Reihe hervor und fragt: »Was heißt das? Man will mich zur Arbeit schicken, mich?«
»Ja, Sie!«
Weitere Kostenlose Bücher