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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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mir zu fischen.«
    »Für den ganzen Rest des Tages?« fragt Juliette.
    »Nein, zu Mittag muß ich ins Lager zurück und darf es erst wieder von fünfzehn bis achtzehn Uhr verlassen.
    Das ist sehr dumm, denn je nach Ebbe und Flut verliere ich manchmal einen ganzen Fang.«
    »Du wirst ihm eine Sondererlaubnis geben, nicht wahr, mein Schatz?« sagt Juliette, sich an ihren Gatten wendend. Von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends, so kann er nach Belieben fischen.«
    »Einverstanden«, sagt der Kommandant.
    Ich verlasse das Haus und gratuliere mir zu meinem Verhalten, denn diese drei Stunden, von Mittag bis drei Uhr, sind kostbar. Es ist die Ruhezeit, in der fast alle Aufseher schlafen und die Überwachung nachlässig gehandhabt wird.
    Juliette hat uns praktisch mit Beschlag belegt, mich und meine Fische. Sie geht so weit, mir den jungen Hausburschen nachzuschicken, um zu sehen, wo ich denn fische, und mir den Fang gleich abzunehmen. Oft taucht er auf und sagt: »Die Kommandantin hat mich geschickt, damit ich ihr alle Fische bringe, die du gefangen hast; sie hat heute Gäste und möchte ihnen eine Bouillabaisse servieren«, oder dies oder jenes.
    Kurz, sie verfügt über meine Beute und verlangt sogar, ihr diesen oder jenen bestimmten Fisch zu bringen oder nach Langustinen zu tauchen. Das bringt unser eigenes Menü in der Hütte ernstlich durcheinander.
    Anderseits bin ich begünstigt wie kein anderer. Auch Juliette hat so ihre kleinen Aufmerksamkeiten parat.
    »Ist nicht heute um ein Uhr Flutzeit?«
    »Ja, Madame.«
    »Dann kommen Sie doch zu mir essen; so brauchen Sie nicht ins Lager zurück und verlieren keine Zeit.«
    Nun, und so esse ich denn bei ihr, niemals in der Küche, immer im Eßzimmer. Sie sitzt mir gegenüber und reicht mir die Schüsseln und schenkt mir ein. Sie ist keineswegs so diskret wie Madame Bar rot. Sie fragt häufig, wenn auch ein wenig versteckt, nach meiner Vergangenheit. Ich vermeide immer, von dem zu sprechen, was sie am meisten interessiert, nämlich mein Leben am Montmartre, und erzähle ihr von meiner Jugend und von meiner Kindheit. Währenddessen schläft der Kommandant in seinem Zimmer.
    Eines Morgens, zeitig in der Früh, nach einem guten Fischfang, der mir fast sechzig Langustinen eingebracht hat, komme ich gegen zehn bei ihr vorbei. Ich finde sie in einem weißen Morgenrock vor dem Spiegel sitzend, und eine junge Frau steht hinter ihr und ist gerade dabei, ihr die Locken zu drehen. Ich sage »Guten Tag«, dann biete ich ihr ein Dutzend Langustinen an.
    »Nein«, sagt sie, »gib mir alle. Wie viele sind es?«
    »Sechzig.«
    »Ausgezeichnet. Bitte laß sie mir da. Wieviel brauchst du davon für deine Freunde und dich?«
    »Acht Stück.«
    »Da, nimm dir die acht und gib den Rest dem Burschen, damit er sie aufs Eis tut.«
    Ich bin sprachlos. Noch nie hat sie mich geduzt. Schon gar nicht vor einer anderen Frau, die gewiß nicht verfehlen wird, die Neuigkeit weiterzusagen. Ich will, höchst verlegen, hinausgehen, doch sie hält mich zurück: »Bleib da, setz dich, und trink ein Gläschen. Dir ist sicherlich heiß.«
    Diese Frau macht mich mit ihrer allesbeherrschenden Art ganz konfus, und ich setze mich tatsächlich nieder.
    Langsam süffle ich an meinem Glas, rauche eine Zigarette und blicke die junge Frau an, die der Kommandantin die Haare kämmt und mir von Zeit zu Zeit einen Seitenblick zuwirft. Die Kommandantin bemerkt das in ihrem Spiegel und sagt: »Er ist hübsch, mein kleiner Freund, wie Simone? Ihr seid alle auf mich eifersüchtig, ist es nicht wahr?« Und dann fangen beide zu lachen an.
    Ich weiß nicht, wohin mit mir, und dummerweise sage ich: »Zum Glück ist Ihr kleiner Freund, wie Madame sich ausdrücken, nicht sehr gefährlich, und in seiner Lage kann er ja auch nicht der kleine Freund von jemandem sein.«
    »Du wirst mir doch damit nicht sagen wollen, daß du nicht in mich verliebt bist?« sagt die Algerierin.
    »Niemand hat einen solchen Löwen wie dich zähmen können, aber ich mach mit dir, was ich will. Dafür muß es doch wohl einen vernünftigen Grund geben, nicht wahr, Simone?«
    »Ich kenne den Grund nicht«, sagt diese Simone, »aber eines ist gewiß, daß Sie bei jedem anderen den Wilden spielen, außer bei der Kommandantin, Papillon. Letzte Woche haben Sie mehr als fünfzehn Kilo Fisch heimgetragen, hat mir die Frau vom Oberaufseher erzählt, und Sie haben ihr nicht einmal zwei elende Fischchen überlassen wollen, nach denen sie ganz verrückt war, weil es kein

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