Papillon
Augenblick kein Regen zu befürchten. Ich denke absolut an nichts, höchstens daran, mich gut anzuhalten, nicht unnützerweise naß zu werden und mich zu fragen, ob es nicht doch klug wäre, falls die Müdigkeit mich übermannt, mich an die Säcke anzubinden, – oder ob es nach der Erfahrung, die ich gemacht habe, zu gefährlich ist. Ich überlege, ob ich nicht in meinen Bewegungen behindert wurde, weil die Kette zu kurz war. Ich hatte ein Stück davon in den Stricken und Drähten, die die Säcke zusammenhalten, eingeflochten gelassen. Dieses Stück Kette müßte leicht herauszuziehen sein, und dann hätte ich auch angebunden größere Bewegungsfreiheit. Ich richte also die Kette und befestige sie von neuem am Gürtel.
Das beruhigt mich sehr, denn ich habe eine wahnsinnige Angst, daß ich einschlafen und den Sack verlieren könnte.
Der Wind wird stärker, die Wellen auch. Es ist jetzt völlig Nacht, der Himmel mit Millionen Sternen bestückt, das Kreuz des Südens glänzt stärker als alle anderen Bilder.
Ich sehe meinen Kumpel nicht. Diese angebrochene Nacht ist sehr wichtig für uns, denn falls wir das Glück haben, daß der Wind weiterhin mit gleicher Stärke weht, werden wir bis zum Morgen ein gutes Stück vorangekommen sein!
Je weiter die Nacht fortschreitet, desto stärker weht der Wind. Der Mond steigt langsam aus dem Meer, orangerot, und als er sich in seiner ganzen Größe frei am Himmel zeigt, sehe ich genau seine dunklen Flecken, die ihm ein Gesicht zu malen scheinen.
Es muß jetzt zehn Uhr abends sein. Die Nacht wird immer heller. Je höher sich der Mond hebt, desto intensiver wird sein Licht. Die Oberfläche der Wellen schimmert silbern, und dieser seltsame Glanz brennt mich in den Augen. Es ist unmöglich, diesen funkelnden und blitzenden Reflexen auszuweichen, die meinen von der Sonne und dem Salzwasser entzündeten Augen weh tun und sie unausgesetzt blenden. Vergeblich sage ich mir: »Nicht hinblicken!« Es gelingt einfach nicht, und ich rauche drei Zigaretten hintereinander.
Für das Floß gibt es keine Probleme. Auf dem stark gekräuselten Meer treibt es ganz simpel dahin, immer auf und ab. Ich kann meine Beine nicht lange auf dem Sack ausgestreckt lassen, denn beim Sitzen bekomme ich sehr bald schrecklich schmerzhafte Krämpfe.
Selbstverständlich bin ich ständig bis zum Oberleib naß. Die Brust aber ist fast trocken, der Wind hat meine Joppe getrocknet, und keine weitere Welle durchnäßt mich höher als bis zum Gürtel.
Aber die Augen, die Augen! Sie brennen immer mehr und mehr. Ich schließe sie.
Von Zeit zu Zeit schlafe ich ein. »Du darfst nicht einschlafen!« Leicht gesagt, aber schwer getan. Himmel, Arsch noch mal! Ich kämpfe gegen das Einnicken an, aber jedesmal wenn ich wieder ganz in die Wirklichkeit zurückfinde, fährt mir ein stechender Schmerz durchs Gehirn. Ich ziehe mein Feuerzeug heraus und mache mir ab und zu eine kleine Verbrennung, indem ich mir den glühenden Docht gegen den Unterarm oder auf meinen Hals drücke.
Ich bin von schrecklicher Angst erfaßt und suche sie unter Aufbietung aller meiner Willenskraft zu vertreiben.
Werde ich einschlafen? Und falle ich ins Wasser, wird die Kalte mich aufwecken? Es war ganz richtig, mich wiederum an die Kette zu binden. Ich darf diese beiden Säcke auf keinen Fall verlieren – sie sind mein Leben! Es müßte mit dem Teufel zugehen, daß ich nicht aufwache, wenn ich ins Meer purzle.
Seit einigen Minuten bin ich wieder völlig durchnäßt. Eine aufrührerische Welle, die offenbar nicht den Weg der anderen nehmen wollte, ist von der rechten Seite her gegen mich angerannt. Nicht nur sie allein hat mich naß gemacht, sondern dadurch, daß sie mich querstellte, haben zwei andere, normale Wellen mich buchstäblich vom Kopf bis zu den Füßen überschüttet.
Die zweite Nacht ist schon sehr fortgeschritten. Wie spät mag es sein? Dem Stand des Mondes nach, der im Westen unterzugehen beginnt, ungefähr zwei, drei Uhr morgens. Der fünfte Flutwechsel, dreißig Stunden sind wir nun schon auf dem Wasser. Daß ich bis auf die Knochen naß bin, verhilft mir zu einer wichtigen Sache: Die Kälte hat mich völlig aufgeweckt. Ich klappere vor Kälte, aber ich kann ohne Mühe die Augen offenhalten. Meine Beine sind erstarrt, und ich beschließe, sie heraufzuziehen und mich draufzusetzen auf meine Beine. Meine Zehen sind eisig, vielleicht werden sie sich unter mir erwärmen? Lange Zeit bleibe ich so im Türkensitz hocken. Die veränderte
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