Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
Vom Netzwerk:
zwei Minuten sind Fock und Klüver geborgen. Ohne Segel rühren wir uns fast nicht mehr von der Stelle, nur die Wellen treiben uns querab. In dieser Lage möchte ich nicht lang verharren, denn ein Boot ohne Antrieb gehorcht dem Steuermann nicht mehr. Das ist bei hohem Wellengang besonders gefährlich.
    Ich mache aus meinen beiden Händen einen Trichter um meinen Mund und rufe hinüber:
    »Sprechen Sie Französisch, Kapitän?«
    Sofort nimmt ein anderer Offizier das Megaphon: »Ja, Kapitän, ich verstehe Französisch!«
    »Was wollen Sie von uns?«
    »Drehen Sie bei!«
    »Nein, das ist zu gefährlich! Ich will nicht, daß mein Boot zerschellt!«
    »Wir sind ein Kriegsschiff und überwachen das Meer, Sie haben zu gehorchen!«
    »Ist mir scheißegal, wir drei führen keinen Krieg!«
    »Seid ihr nicht Schiffbrüchige von einem torpedierten Boot?«
    »Nein, wir sind Flüchtlinge aus dem französischen Bagno.«
    »Bagno? Was ist denn das? Was soll das heißen – Bagno?«
    »Gefängnis. Strafanstalt.
Convict. Hard labour.«
    »Ah! Ja, ja, ich verstehe, Cayenne?«
    »Ja, Cayenne.«
    »Wo wollt ihr hin?«
    »Nach Britisch-Honduras.«
    »Das ist unmöglich, ihr müßt nach Südsüdwest halten, Richtung Georgetown. Gehorcht. Das ist jetzt ein Befehl, verstanden?«
    »Okay.« Ich sage Quiek, er möge wieder die Segel setzen, und wir nehmen Kurs in die angegebene Richtung. Hinter uns hören wir einen Motor. Es ist ein Motorboot, das sich vom Kriegsschiff gelöst hat und uns schnell einholt. Ein Matrose, die Maschinenpistole umgehängt, steht aufrecht am Bug. Das Motorboot kommt backbord heran, streift uns buchstäblich, und mit einem Satz ist der Matrose in unserem Boot. Der andere, am Steuer, wendet und kehrt zum Torpedoboot zurück.
    »Good afternoon«,
sagt der Matrose.
    Er kommt zu mir, setzt sich neben mich, legt die Hand auf die Pinne und wendet das Boot noch stärker gegen Süden. Ich überlasse ihm das Steuer und beobachte schweigend, wie er es handhabt. Er versteht sein Handwerk prächtig, das kann niemand bestreiten. Trotzdem bleibe ich auf meinem Platz, man weiß ja nie.
    »Zigaretten?« Er zieht drei Pakete englische Zigaretten heraus und gibt jedem von uns eines.
    »Mein Wort darauf«, sagt Quiek, »daß er die drei Zigarettenpäckchen extra für uns gefaßt hat, bevor er uns seinen Besuch machte.«
    Ich muß über Quiek lachen. Dann wende ich meine Aufmerksamkeit wieder dem englischen Matrosen zu, der besser als ich mit dem Boot umzugehen versteht. Ich habe volle Muße zum Nachdenken. Diesmal ist die Flucht endgültig geglückt. Ich bin ein freier Mann, frei, frei, frei. Wärme steigt in mir auf, und ich glaube sogar, daß meine Augen in Tränen schwimmen … Wahrhaftig, es ist so. Ich bin endgültig frei, denn seit Kriegsbeginn liefert kein Land mehr Flüchtlinge aus.
    Noch bevor der Krieg zu Ende ist, werde ich die Möglichkeit haben, mir – in welchem Land immer ich mich niederlasse – Achtung zu erwerben. Das einzig Unangenehme ist, daß ich wegen des Krieges vielleicht nicht das Land wählen kann, wo ich gerne bleiben möchte. Aber das macht nichts, wo immer ich lebe, werde ich mir in kurzer Zeit die Achtung und das Vertrauen der Bevölkerung und der Behörden erwerben durch mein Verhalten und durch eine untadelige Lebensweise. Ja mehr noch, durch eine beispielhafte. Das Erlebnis der Sicherheit und Freiheit und daß ich nun endlich vom Weg des Verderbens auf den eines ordentlichen Menschen gekommen bin, läßt mich an nichts anderes mehr denken. Endlich hast du gewonnen, Papillon.
    Du hast gesiegt. Guter Gott, ich danke dir. Vielleicht hättest du es schon früher bewerkstelligen können, aber deine Wege sind ja rätselhaft, wie ich immer höre, und ich beklage mich nicht bei dir, denn dank deiner Hilfe bin ich noch ziemlich jung, bin gesund und frei. Ich lasse im Geist alle die Jahre im Bagno und auch die beiden in Frankreich an mir vorbeiziehen, insgesamt elf, während mein Blick dem ausgestreckten Arm des Matrosen folgt, der eben sagt: »Land!«
    Um sechzehn Uhr, nachdem wir einen Leuchtturm hinter uns gelassen haben, segeln wir in einen riesigen Fluß hinein, den Demerara River. Das Motorboot taucht wieder auf, der Matrose überläßt mir die Pinne und stellt sich vorn an den Bug. Man wirft ihm eine Trosse zu, er befestigt sie an der vorderen Bank, streicht selber die Segel, und wir werden langsam, an die zwei Kilometer weit, auf diesem gelben Strom von dem Motorboot dahingezogen. Zweihundert Meter

Weitere Kostenlose Bücher