Papillon
hinter uns folgt das Torpedoboot. Nach einem großen Knie des Stromes erhebt sich am Ufer eine große Stadt. »Georgetown!« schreit der englische Matrose. Es ist tatsächlich die Hauptstadt von Britisch-Guayana, an die uns das Boot mit gedrosseltem Motor heranbringt.
Viele Lastkähne, Wachschiffe, Kriegsschiffe und Geschütze auf Drehscheiben flankieren das Ufer. Ein ganzes Arsenal ist hier beisammen, sowohl was die Flotteneinheiten als auch was die Bodenverteidigung anlangt. Jetzt kommt es einem erst voll zum Bewußtsein, daß wir Krieg haben, schon seit mehr als zwei Jahren. Ich habe bisher nichts von ihm gespürt. Georgetown, Hauptstadt von Britisch-Guayana und wichtiger Flußhafen, steht hundertprozentig im Krieg. So eine Stadt in Waffen macht einen merkwürdigen Eindruck.
Kaum haben wir an einer Militärpier angelegt, nähert sich auch schon langsam das Torpedoboot, das uns folgte, und legt ebenfalls an. Wir drei, Quiek mit seinem Schwein, Hue mit seinem Beutel in der Hand und ich selbst ganz ohne nichts, steigen zur Pier hinauf. Die ganze Anlegestelle ist der Kriegsmarine vorbehalten, weit und breit kein einziger Zivilist, nur Matrosen und anderes Militär. Ein Offizier kommt auf mich zu, ich erkenne ihn, es ist der, der vom Torpedoboot herunter mit mir französisch gesprochen hat. Freundlich gibt er mir die Hand und sagt: »Wie steht es um Ihre Gesundheit?«
»Gut, Kapitän.«
»Ausgezeichnet. Trotzdem müssen Sie in die Sanitätsstation kom men, wo man Ihnen einige Injektionen geben wird. Auch Ihren beiden Freunden.«
Zwölftes Heft: Georgetown
Das Leben in Georgetown
Am Nachmittag sind wir, nachdem wir die verschiedensten Impfungen erhalten hatten, in die Polizeistation der Stadt gebracht worden, in eine Art gigantisches Polizeikommissariat, wo ständig Hunderte von Polizisten aus und ein gehen. Der Polizeipräsident von Georgetown, oberster Chef der für die Ruhe und Ordnung in diesem wichtigen Hafen verantwortlichen Polizei, empfängt uns sofort in seinem Amtsraum. Rund um ihn her stehen Offiziere in Khakiuniform, sie sehen tadellos aus in ihren Shorts und mit ihren weißen Strümpfen. Der Oberst gibt uns ein Zeichen, daß wir uns setzen sollen, und sagt dann in reinstem Französisch:
»Woher sind Sie gekommen, bevor man Sie auf dem Meer aufgegriffen hat?«
»Aus dem Bagno von Französisch-Guayana.«
»Wollen Sie mir bitte genau die Orte angeben, von wo Sie geflüchtet sind.«
»Ich von der Teufelsinsel, die zwei anderen aus dem halbpolitischen Straflager Inini, in der Nähe von Kourou, Französisch-Guayana.«
»Was ist Ihre Strafe?«
»Lebenslänglich. Grund: Mord.«
»Und die Chinesen?«
»Ebenfalls Mord.«
»Welche Strafe?«
»Lebenslänglich.«
»Ihr Beruf?«
»Elektriker.«
»Und ihr Beruf?«
»Köche.«
»Sind Sie für de Gaulle oder für Petain?«
»Wir verstehen nichts davon. Wir sind Gefangene gewesen und wollen versuchen, ehrlich und anständig in Freiheit zu leben.«
»Sie werden in eine Zelle kommen, die Tag und Nacht offen bleibt. Wir werden Sie in Freiheit setzen, sobald wir Ihre Angaben überprüft haben. Wenn Sie die Wahrheit gesagt haben, haben Sie nichts zu befürchten.
Sie müssen verstehen, wir befinden uns im Krieg und sind daher verpflichtet, noch größere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen als in normalen Zeiten.
Acht Tage später wurden wir in Freiheit gesetzt.
Wir hatten die Woche in der Polizeistation dazu benützt, uns anständig auszustatten. Nun stehen wir also, die beiden Chinesen und ich, ordentlich gekleidet, mit Krawatte, um neun Uhr früh auf der Straße. Jeder mit einem Personalausweis ausgerüstet. Mit Photo.
Die Stadt, sie hat zweihundertfünfzigtausend Einwohner, ist auf englische Art gebaut, fast ganz aus Holz: das Erdgeschoß aus Beton, der Rest – Holz. Die Straßen und Avenuen gehen nur so über von Menschen aller Rassen: Weiße, schokoladebraune und schwarze Neger, Hindus, Kulis, englische und amerikanische Matrosen, Skandinavier. Wir sind ein wenig verwirrt, inmitten dieser hin und her flutenden Menge. Eine überströmende Freude erfüllt uns, so groß, daß sie sich auf unseren Gesichtern abmalen muß, selbst auf denen der beiden Chinesen, denn viele Leute schauen uns an und lächeln freundlich.
»Wo gehen wir hin?« fragt Quiek.
»Ich habe eine vage Adresse«, sage ich. »Ein schwarzer Polizist hat mir zwei Franzosen genannt, sie sollen in Penitence Rivers wohnen.«
Wir werden uns erkundigen. Es soll sich um einen Bezirk han deln,
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