Papillon
die Hühner holen. Aber die ersten vier, die er erwischt, müssen es den andern weitergesagt haben, denn er konnte nur mehr eine Henne einfangen, die anderen haben sich alle in den Busch verzogen. Wie die Tiere die Gefahr vorausspüren, weiß ich nicht, es ist ihr Geheimnis.
Beladen wie Maulesel überqueren wir hinter dem Schwein den Sumpf. Quiek-Quiek hat mich angefleht, das Schwein mit auf die Flucht zu nehmen.
»Dein Wort, daß das Vieh nicht schreien wird?«
»Ich schwör dir, es wird nicht schreien. Es ist still, wenn ich es ihm befehle. Selbst als wir zwei- oder dreimal von einem Tiger gejagt wurden, der um uns herumschlich, hat es keinen Laut von sich gegeben, obwohl ihm die Haare auf dem ganzen Körper zu Berge standen.«
Ich lasse mich von der Zuversicht meines Freundes anstecken und erlaube also, daß er sein heißgeliebtes Schweinchen mitnimmt. Als wir die Anlegestelle erreichen, ist es Nacht. Chocolat ist schon mit dem Einarmigen da. Mit zwei Taschenlampen kontrolliere ich, ob alles in Ordnung ist. Nichts fehlt. Am Mast sind Ringe zum Setzen der Segel angebracht, die Vorsegel liegen zusammengerollt an ihrem Platz, bereit zum Hissen. Quiek-Quiek übt zwei- oder dreimal die Handgriffe, die ich ihm angebe. Er begreift rasch, was ich von ihm brauche. Ich zahle den Neger aus, der sich so anständig verhalten hat. Er ist naiv genug, seine Banknotenhälften und Klebestreifen mitzubringen und mich zu bitten, ihm die Scheine wieder zusammenzukleben. Keinen Augenblick lang denkt er daran, daß ich ihm auf diese Art das Geld wieder abnehmen könnte. Die Leute, die nie von anderen etwas Schlechtes erwarten, sind immer auch selbst gut und aufrichtig. Chocolat war ein guter und ehrlicher Mann. Nachdem er gesehen hat, wie man die Sträflinge behandelt, hatte er keinerlei Gewissensbisse, dreien von ihnen zur Flucht aus dieser Hölle zu verhelfen.
»Adieu, Chocolat. Viel Glück für dich und deine Familie!«
»Vielen Dank!«
Elftes Heft: Bagno, Ade!
Die Flucht der Chinesen
Ich steige als letzter ins Boot. Von Chocolat weggestoßen, bewegt es sich gegen den Fluß hin. Wir haben keine Stange, aber zwei gute Ruder, das vorne bedient Quiek-Quiek, ich rudere mit dem hinten. In weniger als zwei Stunden erreichen wir den Fluß. Seit mehr als einer Stunde plätschert es vom Himmel. Ein in Ölfarbe getränkter Mehlsack ist mein Regenschutz, Quiek hat auch einen, der Einarmige auch.
Der Fluß hat eine schnelle Strömung, und sein Wasser ist voller Wirbel. Trotz der Strömung sind wir in weniger als einer Stunde in der Flußmitte. Mit der Ebbe kommen wir nach drei Stunden zwischen den beiden Leuchtfeuern durch. Ich weiß, daß die See nahe sein muß, denn die Türme stehen an den äußersten Enden der Mündung. Großsegel und Fock sind gesetzt, und wir verlassen den Kourou ohne irgendeinen Zwischenfall. Der Wind packt uns mit solcher Kraft von der Seite, daß ich das Segel reffen muß. Wie ein Pfeil fliegen wir durch die Hafeneinfahrt aufs Meer hinaus, und die Entfernung zwischen uns und der Küste wächst zusehends. Vierzig Kilometer vor uns zeigt uns der Leuchtturm von Royale den Kurs an.
Vor dreizehn Tagen war ich noch hinter diesem Leuchtturm auf der Teufelsinsel. Aber dieses nächtliche Auslaufen ins Meer, dieses rasche Wegkommen vom Festland – von meinen beiden chinesischen Gefährten wurde es nicht mit einem Freudenausbruch begrüßt. Diese Himmelssöhne haben eine verdammt andere Art, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Als wir uns auf dem Meer befanden, sagte Quiek-Quiek nur mit ganz normaler Stimme: »Wir sind sehr gut herausgekommen.« Und der Einarmige fügt hinzu: »Ja, ohne Schwierigkeit. Ich habe Durst, Quiek-Quiek, gib mir etwas Tafia.«
Nachdem sie auch mir welchen gereicht hatten, nahmen sie einen guten Schluck Rum. Ich habe keinen Schiffskompaß, aber bei meiner ersten Flucht habe ich gelernt, mich nach Sonne, Mond, Sternen und dem Wind zu richten. Die Mastspitze auf den Polarstern eingestellt, halte ich aufs hohe Meer hinaus. Das Boot bewährt sich, gleitet geschmeidig mit den Wellen dahin, rollt fast nicht. Da der Wind sehr stark ist, sind wir am Morgen schon weit von der Küste und den Heilsinseln entfernt. Wenn es nicht zu gewagt gewesen wäre, hätte ich mich gerne der Teufelsinsel genähert, um sie zu meinem Vergnügen aus der Ferne zu betrachten.
Während der folgenden sechs Tage haben wir unruhiges Wetter gehabt, jedoch keinen Regen und auch keinen Sturm. Der starke Wind hat uns recht
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