Papillon
wo ausschließlich Hindus wohnen. Ich gehe zu einem tadellos weiß uniformierten Polizisten und sage ihm die Adresse. Bevor er uns antwortet, verlangt er unsere Personalausweise. Stolz Überreichs ich sie ihm. Er sagt: »Danke sehr.« Dann macht er sich die Mühe, uns zu einem Straßenbahnzug zu führen, und spricht mit dem Schaffner. Wir fahren aus dem Zentrum der Stadt hinaus, und nach ungefähr zwanzig Minuten deutet uns der Schaffner auszusteigen. Es muß hier irgendwo herum sein. Wir fragen. »Frenchman?« Ein junger Mann winkt uns, wir sollen ihm folgen.
Er führt uns zu einem kleinen, niedrigen Haus. Wir sind kaum angelangt, da stürzen drei Männer aus der Tür und begrüßen uns lebhaft:
»Was, du bist da, Papi?«
»Nicht die Möglichkeit!« sagt ein weißhaariger Mann, der Älteste Ivon ihnen. »Tritt ein. Ich bin hier zu Hause.
Gehören die Chinesen zu dir?«
»Ja.«
»Tretet ein, seid willkommen.«
Dieser alte Zwangsarbeiter heißt Guittou Auguste, einfach »Der Guittou« genannt, und ist ein echter Marseiller. Er gehörte zur selben Sträflingsgruppe wie ich und ist mit mir auf der »Martiniere« 1933, also vor neun Jahren, herübergekommen. Nach einer verunglückten Flucht ist ihm die Hauptstrafe erlassen worden, und als Freigelassener ist er vor drei Jahren aus der Verbannung geflüchtet, sagt er mir. Die beiden anderen sind ein Kerl aus Arles, Petit-Louis, und ein Toulonesser, Julot. Auch sie haben ihre Strafe abgesessen, aber sie hätten in Französisch-Guayana nochmals die Anzahl von Jahren bleiben müssen, zu der sie verurteilt worden waren, zehn und fünfzehn, und sind ebenfalls geflüchtet (diese zusätzliche Strafe heißt »Bewährungshaft«).
Das Haus hat vier Wohnräume: zwei Zimmer, eine Küche, ein Eßzimmer und noch eine Werkstatt. Sie machen Schuhe aus Balata, aus dem Rohgummi, der im Busch gesammelt wird und sich, mit heißem Wasser vermischt, sehr gut verarbeiten läßt. Der einzige Nachteil ist der, daß dieses Material in der Sonne schmilzt, weil es nicht vulkanisiert ist und nur zwischen die einzelnen Schichten der Gummimasse Stoffetzen gelegt werden.
Wir werden wunderbar aufgenommen, mit jener Großherzigkeit, die allen Menschen eigen ist, die viel gelitten haben. Guittou macht für uns drei ein Zimmer frei und fordert uns ohne Umschweife auf, bei ihm zu bleiben. Es gibt nur ein Problem – Quieks Schwein. Aber Quiek beteuert, es werde das Haus kein bißchen beschmutzen und immer ganz von selbst im Freien sein Geschäftchen verrichten.
Guittou sagt: »Gut, wir werden sehen. Behalte es vorläufig bei dir.«
Aus alten Soldatendecken machen wir uns provisorisch drei Lager auf dem Boden zurecht. Dann sitzen wir vor der Tür, rauchen alle sechs einige Zigaretten, und ich erzähle Guittou alle Abenteuer, die ich erlebt habe.
Seine beiden Freunde und er selbst hören gespannt zu und erleben alles intensiv mit, weil es sie an ihre eigenen Erfahrungen erinnert. Zwei von ihnen haben Sylvain gekannt, und sie beklagen seinen schrecklichen Tod aufrichtig. Vor unseren Augen erstehen Menschen aller Art und jeder Rasse. Von Zeit zu Zeit kommt jemand, der Schuhe oder einen Besen kauft, weil Guittou und seine Freunde auch Besen herstellen, um ihren Verdienst zu vergrößern. Sie sagen uns, daß es gut dreißig Flüchtlinge in Georgetown gibt. Sie treffen einander nachts in einer Bar im Stadtzentrum, wo sie gemeinsam Rum oder Bier trinken.
»Alle arbeiten für ihren Lebensunterhalt, und die meisten von ihnen sind anständige Männer geworden«, sagt Julot.
Während wir so vor dem Haus die schattige Kühle genießen, kommt ein Chinese vorbei, den Quiek anruft.
Ohne uns ihr Betragen zu erklären, stehen Quiek und auch der Einarmige auf und gehen mit dem Fremden weg. Sie müssen nicht weit zu gehen haben, denn das Schwein folgt ihnen nach. Zwei Stunden später kommt Quiek mit einem Esel wieder, der vor einen kleinen Karren gespannt ist. Stolz wie ein König hält er sein Gefährt an und spricht mit dem Esel chinesisch, und das Grautier scheint ihn zu verstehen. Auf dem Karren liegen drei zusammengeklappte Eisenbetten, Matratzen und drei Koffer. Der, den er mir gibt, ist voll mit Hemden, Unterhosen, Unterleibchen, dann sind zwei Paar Schuhe drin, Krawatten und so weiter.
»Wo hast du das alles gefunden, Quiek?«
»Meine Landsleute haben es mir gegeben. Morgen gehen wir sie besuchen, willst du?«
»Natürlich will ich.«
Wir denken, Quiek wird nun mit seinem Eselskarren wieder abziehen.
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