Papillon
Keine Rede davon. Er schirrt den Esel ab und bindet ihn im Hof an.
»Sie haben mir auch den Karren und den Esel geschenkt. Damit könnte ich leicht meinen Unterhalt verdienen, haben sie gemeint. Morgen früh wird ein Landsmann von mir herkommen, um mir beizubringen, wie.«
»Die schalten aber schnell, die Chinesen.«
Guittou ist einverstanden, daß das Eselsgefährt vorübergehend im Hof untergebracht wird. Alles geht gut an diesem ersten Tag der Freiheit.
Am Abend sitzen wir alle sechs rund um den Arbeitstisch, essen eine köstliche Gemüsesuppe, die Julot zubereitet hat, und ein vortreffliches Spaghettigericht.
»Jeder wird abwechselnd Geschirr waschen und sauber machen«, sagt Guittou.
Dieses gemeinsame Essen ist das Symbol einer ersten kleinen Gemeinschaft, voll von Wärme. Das Erlebnis, bei den ersten Schritten in ein freies Dasein sogleich Hilfe zu empfangen, tröstet und stärkt uns.
Wir haben ein Dach, ein Bett, Freunde, die sich bei all ihrer Armut hilfsbereit, ja nobel erweisen – was will man mehr?
»Was willst du heute abend machen, Papillon?« fragt Guittou. »Willst xiu vielleicht in die Stadt gehen, in diese Bar, wo sich die Flüchtlinge treffen?«
»Ich möchte heute nacht lieber hierbleiben. Geh allein hinunter, brauchst dich nicht um mich zu kümmern.«
»Ja, ich geh hinunter, ich muß dort jemanden sehen.«
»Ich bleibe mit Quiek und dem Einarmigen da.«
Petit-Louis und Guittou, in Anzug mit Krawatte, sind in die Stadt gegangen. Nur Julot ist zurückgeblieben, um einige Paar Schuhe fertigzubringen. Meine Kameraden und ich machen einen kleinen Rundgang durch die umliegenden Gassen, um das Viertel kennenzulernen. Lauter Inder. Sehr wenig Schwarze. Fast keine Weißen. Kaum chinesische Restaurants.
Penitence Rivers ist ein Stadtviertel für Leute aus Indien oder Java. Die jungen Frauen sind wunderschön, die alten tragen lange, weiße Kleider. Viele haben nackte Füße. Es ist ein armes Viertel, aber alle sind sauber gekleidet. Die Straßen sind schlecht beleuchtet, die Bars, in denen man ißt und trinkt, gesteckt voll, und überall hört man indische Musik. Ein Schwarzer, geschniegelt und gebügelt in Weiß, hält mich an:
»Sie sind Franzose?«
»Ja.«
»Es freut mich, einem Landsmann zu begegnen. Darf ich Sie auf ein Glas einladen, Monsieur?«
»Gerne, aber ich bin mit Freunden.«
»Das macht nichts. Sprechen die Freunde auch Französisch?«
»Ja.«
Nun sitzen wir also alle vier an einem Tisch, der auf den Gehsteig hinausschaut. Dieser Schwarze aus Martinique spricht ein gewählteres Französisch als wir alle. Er sagt uns, wir müßten uns vor den englischen Negern hüten, die wären, meint er, allesamt große Lügner. »Sie sind nicht so wie wir Franzosen. Wir halten Wort – sie nicht.«
Ich muß innerlich lächeln, daß dieser Timbuktuneger sagt: »wir Franzosen«. Und dann bin ich richtiggehend erschüttert. Dieser Herr ist tatsächlich ein echter Franzose. Mehr noch als ich, reinblütiger, muß ich mir sagen, denn er verteidigt seine Nationalität mit ebensoviel Wärme wie Stolz. Er ist fähig, sich für Frankreich töten zu lassen. Ich nicht. Daher ist er mehr Franzose als ich. Ich bin nur Durchschnitt.
»Es freut mich, einem Landsmann zu begegnen und in meiner Sprache reden zu können, ich spreche nämlich sehr schlecht Englisch«, sage ich.
Er: »Ich spreche Englisch fließend. Wenn ich Ihnen damit nützlich sein kann, stehe ich gerne zu Ihrer Verfügung. Sind Sie schon lange in Georgetown?«
»Erst seit acht Tagen.«
»Woher kommen Sie?«
»Aus Französisch-Guayana.«
»Nicht möglich! Sind Sie Flüchtling? Oder einer von den Bagnowächtern, die zu de Gaulle übergehen wollen?«
»Nein, ich bin Flüchtling.«
»Und Ihre Freunde?«
»Auch.«
»Monsieur Henri, ich will Ihre Vergangenheit nicht kennen. Jetzt ist der Augenblick da, wo man Frankreich helfen sollte und sich selber bewähren muß. Ich bin Anhänger de Gaulles und werde mich bald nach England einschiffen. Kommen Sie morgen in den Martina-Club, ich werde dort sein, hier die Adresse. Ich wäre glücklich, wenn Sie sich uns anschließen würden.«
»Wie ist Ihr Name bitte?«
»Homere.«
»Ich könnte mich nicht so rasch entschließen, Monsieur Homere. Ich muß zuerst Gewißheit über meine Familie haben und die Sache auch gut durchdenken, bevor ich eine so ernste Entscheidung treffe. Sehen Sie, Monsieur Homere, in aller Härte gesagt: Frankreich hat mir viel Leid zugefügt, es hat mich unmenschlich
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