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Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich

Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich

Titel: Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Wolf
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«Zelanti», auf der anderen Seite die sogenannten «Politicanti». Die Zelanti, die nicht nur von ihren Gegnern so genannt wurden, sondern sich durchaus auch selbst so bezeichneten, verstanden sich als religiöse Hardliner, denen jeder politische Kompromiß zutiefst verhaßt war. Es ging ihnen in fast fundamentalistischer Weise um die bedingungslose Durchsetzung der katholischen Glaubenswahrheit. Das Dogma, oder das, was sie dafür hielten, durfte um keinen Preis verwässert oder gar auf dem Altar der Politik geopfert werden. Notfalls mußten Kirche und Kurie bei diesem rigiden Kurs auch Nachteile auf «weltlichem» Gebiet, etwa im Verhältnis mit den Staaten, in Kauf nehmen. Die Zelanti hatten sich nicht nur die Bekämpfung der protestantischen Häresie auf die Fahnen geschrieben, ihnen war spätestens seit der Französischen Revolution zugleich all das zutiefst verhaßt, was auch nur entfernt an «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» erinnerte. Die feierliche Verurteilung des Liberalismus im allgemeinen und der Gewissensfreiheit als «pestilentissimus error» im besonderen seit dem 19. Jahrhundert ging im wesentlichen auf ihre Initiative zurück. Einer der wichtigsten bekennenden Zelanti des frühen 20. Jahrhunderts war eben Merry del Val, der als Kardinalstaatssekretär Pius’ X. für die Modernistenverfolgung in der katholischen Kirche verantwortlich gezeichnet hatte. Demokratie, Judenemanzipation und Ökumene waren ihm zutiefst zuwider. Indem Merry del Val Pacelli mit dem – aus seiner Sicht – Ehrentitel «zelante» schmückte, nahm er ihn zugleich in seine Partei der unbeirrten Kämpfer für die katholische Wahrheit auf.
    Die «Politicanti» hingegen waren eher moderate, mit den Werten der Moderne und deren Bildungsstandards vertraute Kardinäle und hohe Kurienbeamte, die bei aller Bindung an katholische Normen und Glaubensvorstellungen ihren Blick auf das politisch Machbare richteten. Sie waren grundsätzlich von einer Versöhnbarkeit von Katholizismus und Moderne überzeugt und bereit, moderne Errungenschaften wie Pressefreiheit, effizientere Staatsverwaltung und die demokratische Mitwirkung der Laien auf kommunaler Ebene auch in der Kirche und vor allem im Kirchenstaat zuzulassen. Die Politicanti versuchten, auf dem Verhandlungsweg mit den Staaten, aber auch mit den Vertretern abweichender Meinungen innerhalb der Kirche selbst, zu tragfähigen Kompromissen zu kommen. Der blinde religiöse Eifer der Zelanti war ihnen besonders verhaßt, weil dadurch notwendige Reformen in der Kirche und ihre Anpassung an die Bedürfnisse der modernen Zeit verhindert wurden. Wenn es darum ging, für die Kirche politisch das optimale Ergebnis herauszuholen, plädierten sie bei der Auslegung katholischer Glaubenswahrheiten und Moralprinzipien für Flexibilität, was den Politicanti von seiten ihrer zelantischen Gegner nicht selten den Vorwurf des politischen Opportunismus eintrug. Daß Pacelli nach Ansicht Merry del Vals nicht zur Gruppe der Politicanti gehört haben sollte und bei ihm also die reine Lehre stets vor der politischen Taktik rangiert hätte, ist nach der allgemeinen Einschätzung Pacellis als gewiefter Diplomat einigermaßen überraschend. Daher stellt sich die Frage: Hat Merry del Val Pacelli als Zelant richtig charakterisiert, eventuell eingedenk dessen langjähriger Zusammenarbeit mit dem «Modernistenfresser» Benigni im Päpstlichen Staatssekretariat? Oder sollte sich der Kardinalsekretär der Römischen Inquisition in Pacelli getäuscht haben, weil dieser in Wirklichkeit doch ein Politicante war? Die weitere Entwicklung der Affäre um die Ökumene in Deutschland hält zu dieser Frage eine interessante Antwort bereit.
    Zunächst schien sich Merry del Vals Einschätzung voll zu bestätigen. Denn am 9. Januar 1927 setzte der Nuntius das Heilige Offizium über den Versuch Kardinal Bertrams in Kenntnis, sein Zirkular an die deutschen Bischöfe vom Vorjahr zu entschärfen. Der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz hatte den Kirchenhistoriker an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Breslau, Franz XaverSeppelt (1883–1956), der seit 1925 gleichzeitig Domkapitular in Breslau war, um ein Gutachten über die Una-Sancta-Bewegung gebeten. Pacelli war ziemlich erbost, als er von der streng geheimen Aktion des Kardinals erfuhr, weil das Votum Seppelts darauf hinauslief, «das oben genannte Rundschreiben zu paralysieren». Im Gegensatz zum Berliner Nuntius war der Kirchenhistoriker

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