Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
allen Katholiken, sich in irgendeiner Weise in der Ökumenischen Bewegung zu engagieren oder gar an der Zeitschrift
Una Sancta
mitzuarbeiten. Namentlich wurden sechs Häresien angeführt, von denen eine ernste Gefahr für die Reinheit des katholischen Glaubens ausging: erstens die Ablehnung des römischen Jurisdiktionsprimats; zweitens die Ungültigkeit zahlreicher, von Ökumenischen Konzilien, dem Heiligen Stuhl und der RömischenKurie getroffenen Lehrentscheidungen; drittens die Ansicht, die Kirche Christi habe nach den ersten fünf Jahrhunderten aufgehört, eins und einzig zu sein; viertens die Auffassung, die Kennzeichen der wahren Kirche Christi seien in Form eines Kompromisses aller christlichen Gemeinschaften zu definieren; fünftens die Leugnung der apostolischen Sukzession des Papstes, seiner Stellvertreterschaft Christi auf Erden und damit seiner göttlichen Legitimation; und schließlich sechstens die Behauptung, die römische Kirche sei selbst vom wahren, ursprünglichen Glauben abgefallen und habe diesen verfälscht.[ 26 ]
Am 16. April 1927 erhielt Eugenio Pacelli eine Kopie dieses Rundschreibens. Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, daß der Berliner Nuntius über diese klare Entscheidung des Heiligen Offiziums eine tiefe Befriedigung empfunden hätte, entsprach sie doch ganz den Schlußfolgerungen, die er selbst in seinem Bericht vom Vorjahr gezogen hatte. Ein Zelant, dem die Reinheit der wahren Lehre über alles ging, hätte jedenfalls so empfinden müssen. Die Reaktion Pacellis fiel indes völlig anders aus. Bereits wenige Stunden nach Empfang des Textes telegraphierte er nach Rom, freilich nicht an das Heilige Offizium, sondern an Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri, und sprach sich mit Nachdruck gegen eine Publikation des römischen Dekrets aus: «In Anbetracht der aktuellen großen Aufregung der Gemüter und der heftigen Polemik in Deutschland wegen des Konkordats und der Schulfragen mit Angriffen gegen den Heiligen Stuhl würde es mir unterwürfig für angebracht erscheinen, die Veröffentlichung des Rundschreibens zu verschieben und es den Bischöfen vertraulich zukommen zu lassen.»[ 27 ]
Pacelli befand sich in einer äußerst schwierigen Situation. Er hielt einerseits eine klare Weisung der obersten römischen Glaubensbehörde in Händen, der er als Nuntius strikt Folge zu leisten hatte; ein Widerspruch gegen eine solche Lehrentscheidung war eigentlich nicht möglich, wenn er seinen Posten nicht riskieren wollte. Andererseits sah er die Veröffentlichung dieses antiökumenischen und letztlich antiprotestantischen Dokuments zu einem Zeitpunkt, zu dem endlich Bewegung in die Verhandlungen um das Konkordat mit Preußen gekommen war, für politisch äußerst inopportun an. Ein solches Urteil würde nicht nur die öffentliche Meinung, sondern auch die zumeist protestantischen Unterhändler auf staatlicher Seite gegenRom und seinen Vertreter vor Ort einnehmen und den Vertragsabschluß ernsthaft gefährden. Die ohnehin vorhandenen antirömischen Affekte würden neue Nahrung erhalten. Diese für einen Politicante typischen Überlegungen konnte der kleine Nuntius in Berlin aber unmöglich dem mächtigen Kardinalsekretär des Heiligen Offiziums in Rom direkt mitteilen. Es bestand für Pacelli kaum eine Möglichkeit, aus dieser Zwickmühle herauszukommen, er konnte nicht Zelante und Politicante zugleich sein. Pacelli entschied sich dafür, das Argument der politischen Inopportunität stärker zu gewichten als die Reinheit der Lehre – und er fand einen Weg, das Heilige Offizium zumindest inoffiziell von seiner «politicanten» Position in Kenntnis zu setzen.
Pacelli schrieb einen privaten Brief – bewußt nicht mit dem Briefkopf der Berliner Nuntiatur – an seinen Freund Giuseppe Pizzardo, mit dem er lange Jahre in der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten zusammengearbeitet hatte. Als Sekretär dieser politischen Kongregation war Pizzardo gleichzeitig Konsultor des Heiligen Offiziums. Er sollte für Pacelli als Brücke von der politischen zur dogmatischen Abteilung der Kurie dienen. Am 17. April, dem Ostertag, übermittelte Pacelli Pizzardo im Detail die Gründe, die gegen eine Publikation des Dekrets sprachen. Zentral war für ihn der «äußere Grund» – der politische Aspekt: «Sie können sich die Angriffe der protestantischen und liberalen Presse gegen Rom kaum vorstellen, da die Frage des Schulgesetzes und des Konkordats so scharf geworden ist.» Hier
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