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Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Titel: Paradies. Doch kein Himmel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthea Bischof
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Schulter und sagte: „Ist schon gut, ich werde etwas finden. Es ist immer gegangen, jetzt wird es auch gehen. Ich brauchen einen Schnaps, nehmt ihr auch einen?“ und ging mit schweren Schritten nach der Küche.
    Mit einem weiteren dezidierten Räuspern sagte Curdin leise: „Du kannst doch nicht einfach solche Versprechen machen, wir können doch nicht so unstrukturiert eingreifen und den Wildwuchs kleiner Unternehmen dulden, die sich nicht an die Regeln halten! Da müssen wir schon aufpassen, hörst du mich, Vincent?“
    „Du wolltest jemanden kennenlernen, für den du dich hier einsetzt? Du wolltest, dass Paraguay ein konkretes Gesicht bekommt? Schau es dir an, das ist sein Gesicht. Es passt nicht in Reglemente, es sind einfach nur Leute, kleine, grosse, dicke, dünne, dumme, schlaue und was weiss ich nicht alles, die irgendwie überleben wollen. Willst du wirklich auf irgendwelchen Paragraphen rumreiten, während hier eine Familie verelendet? Hast du eine Vorstellung, wie oft die essen, wenn diese Schläger nicht bezahlt werden? Willst du es verantworten, dass diese Kinder nicht mehr von ihrer Familie versorgt werden können, weil die kein Einkommen mehr haben? Ich nicht. Du kannst machen was du willst, du kannst von mir aus von nichts wissen oder mich wegen Regelverstössen anzeigen. Aber wem ist dabei geholfen? Was ist der Sinn dieses Hilfswerks, wenn ich nicht einmal die Schüssel spüle, in der die Henkersmalzeit einer ganzen Landesschicht kredenzt wird?“
    „Hm“, sagte Curdin darauf gedehnt und setzte sich wieder auf den Stuhl. Die Gedanken hinter seiner Stirn schienen zu arbeiten wie das Räderwerk einer alpinen Seilbahn, aber Vincent wusste nicht, ob es abwärts oder aufwärts ging.
    Da kam Ignacio zurück und trug eine dicke braune Flasche mit schwarzgebranntem Schnaps und drei Gläser in den Händen. Über die Schulter rief er etwas in Guarani zurück und setzte sich dann zu den beiden. Bedächtig schenkte er ein, rechtschaffene Mengen für einen späten Nachmittag, als die Sonne golden über dem Elend von La Chacarita verging.
    „Prost!“ sagte er darauf, wiederholte es in Guarani und stürzte sein Glas herunter.
    „Prost“, sagte Vincent und setzte an, aber das Getränk brannte wie Feuer und ihm war, als verging ihm die Stimme. „Uff“, sagte er nach einem Schluck und wischte sich die Lippen.
    „Stark, he?“ fragte Ignacio befriedigt und grinste breit bis zu den Stockzähnen.
    „Wer brennt denn sowas?“
    „Der Zuckerrohrschnaps muss brennen, dann tut’s in der Hölle nicht mehr so weh“, rief Ignacio, dann rief er wieder über den Hof in Guarani und schliesslich kam seine Schwester hervor. Sie hatte ein Glas in den Falten ihrer Schürze versteckt und trat schüchtern hinzu und blieb seitlich abgekehrt neben ihrem Bruder stehen. Er schenkte ihr ein, sie stiess mit ihm an und hob nur leicht das Glas gegenüber den Gästen, ohne ihnen in die Augen zu sehen. Dann kippte sie den Inhalt mit dem geübten Knick aus dem Handgelenk eines trunkerfahrenen Matrosen, stellte das Glas nieder und verschwand wieder.
    „Sie ist manchmal ein bisschen scheu gegen Fremde“, sagte Ignacio.
    „Im merhin ist es ihr gelungen, diese Schläger rauszuschmeissen“, meinte Vincent und lachte.
    Der erste Schluck hatte Curdin fast umgeworfen, aber dann leerte er geflissentlich sein Glas.
     
     
    Anderntags kam Curdin später denn gewöhnlich zur Arbeit und sein Teint liess einige Frische missen. Als Vincent ihn antraf, fragte er: „Und? Hast du genug echtes Paraguay gesehen für eine Woche?“
    „Ich bin trotzdem der Meinung, dass wir solche Sachen nicht einreissen lassen können. Wir haben Richtlinien und wir haben Verpflichtungen!“ erwiderte ihm sein Vorgesetzter.
    „Sicher, du bist der Chef. Aber die Probleme der Leute sind ganz einfach und sie lassen sich auch teils einfach lösen. Und das ist das einzige, was ich habe, das einzige, was wir tun können, denn die Ausbeutung, die Korruption, die Schutzlosigkeit der Einzelnen, die können wir nicht ändern. Wir sind keine Regierung und wer weiss, ob wir dann nicht genauso beschissen wären, wie die jetzige. Ich habe keine Ahnung. Das einzige was ich weiss ist, dass ich da helfe, wo es brennt und dass ich den Bericht dann eben so dichte, dass er ins Reglement passt. Das mag nicht die beste Art sein, aber ich sehe keine bessere. Wenn ich in Genf jedes Mal nachfragen muss, wo ich hier einen Topf Suppe rausgebe, dann kann ich gleich die Klinken polieren

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