Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
eines Augenblicks sah er klar vor sich, was er eben getan hatte. Für einen Augenblick liess er es zu, zu sehen, was es war. Es war hässlich, aber es war so leicht gewesen. Nur ein kleines Zugeständnis.
Vincent Thal war eine gescheiterte Existenz.
XIII
Gezählt, gerichtet, abgewogen und zu leicht befunden.
Zwei Tage waren seit dem Gespräch zwischen Curdin Müller und Frau Lopez vergangen, als das Urteil über Vincent Thal beim Internationalen Roten Ring einging. Doch derselbe konnte es nicht entgegennehmen. Zuvor schon hatte ihn die Polizei in seiner Wohnung aufgesucht und ihm nahegelegt mitzukommen.
Vincent hatte mit so manchem gerechnet, aber nicht damit. Er erklärte den Uniformierten, sich ankleiden zu müssen bevor er mit ihnen gehe. Während sie überlegten, ob das ihrer Weisung entsprach, schwang er die Türe vor ihrer Nase ins Schloss und eilte zum Telefon.
„Guten Morgen Curdin, ich habe keine Ahnung was vorgefallen ist, aber die Polizei steht vor meiner Türe und will mich abholen. Sei doch so nett und informiere dich, was da los ist. Vielleicht müssen wir an die Schweizer Botschaft gehen. Keine Ahnung. Aber ich habe keine andere Möglichkeit, als jetzt mitzugehen, glaube ich. Bitte schick jemanden vorbei und klär‘ mich auf. Das ist doch vollkommen unverhältnismässig“, sprach er schnell auf Curdins Anrufbeantworter, denn offensichtlich war dieser noch nicht im Büro.
Vincent sah an sich herunter und zog sich rasch vollständig an. Dann griff er wieder zum Telefon und rief das Frauenhaus an, in dem Consuelo untergebracht war. Die Frau am anderen Ende war einigermassen überrascht über seinen frühen Anruf, denn es war noch nicht acht Uhr. Dann aber schickte sie sich an, das Mädchen zu rufen und nach langen Minuten meldete sich Consuelo.
„Guten Morgen Consuelo, hör mal, ich habe ein Problem, ich muss zur Polizei…“, hob er an.
„Zur Polizei, warum denn?“ unterbrach sie ihn und ihre Stimme war ungewöhnlich schrill.
„Es ist eine lange Geschichte, aber sie hat nichts mit dir zu tun. Verstehst du, Kleine, ich will nur, dass du weisst, dass ich wahrscheinlich erst mal nicht mehr bei dir vorbeikommen kann. Unehrenhaft und so, Scheisse!“ erklärte er ihr.
„Dann bin ich schon wieder ganz allein“, sagte sie leise. „Bitte entschuldige, dass ich nur an mich denke. Es tut mir so leid, dass etwas geschehen ist, was dir Schwierigkeiten bereitet. Du bist so ein guter Mensch“, fuhr sie fort.
„Offensichtlich bin ich kein so guter Mensch…“, erwiderte er sarkastisch.
„Du darfst bei der Polizei überhaupt nichts sagen, habe ich gehört. Du darfst gar nichts sagen, hörst du? Du darfst nur mit jemandem reden, dem du vertrauen kannst. Du musst Luz bitten, dass sie für dich redet. Sie arbeitet doch dort?“ sprach sie weiter.
An der Türe klingelte es in Serie, indes ignorierte Vincent den Lärm.
„Ich bin nicht sicher, ob ich Luz vertrauen kann“, wand te er ein.
„Doch, doch, das kannst du. Sie ist nicht so schlimm wie du immer sagst, wirklich! Aber pass auf, ja? Manchmal sagst du Sachen in Spanisch, die nicht Spanisch klingen und dann hast du Schwierigkeiten!“ s agte sie und Vincent bedachte dies.
„Hm. Ich muss wohl gehen, die werden nicht gerne weiter auf mich warten“, sagte er dann. „Alles Gute, Consuelo, pass auf dich auf und ich werde mich melden, sobald ich mehr weiss – und ich telefonieren kann.“
„Alles Gute, pass auf dich auf, ja?“
Nachdem er aufgelegt hatte, steckte Vincent seinen Computer unter die Wäsche im Schrank, griff nach Schlüssel, Mobiltelefon und Geldbeutel. Dann trat er den beiden uniformierten Herren entgegen und liess die Wohnung fest zugesperrt zurück.
Die beiden liessen Unmut darüber verlauten, da er sie hatte draussen stehen lassen. Während sie in einem Wagen, dessen beste Jahre weit hinter ihm lagen, zum Revier fuhren, fragte sich Vincent, was nun auf ihn zukäme. Wurde er nur befragt, oder war er eben verhaftet worden? Wie hatte es dazu kommen können?
Er hatte sich in zwei Angelegenheiten für schuldig bekannt, die aber schlimmstenfalls Geldstrafen mit sich brachten. Oder war er sich zu sicher gewesen? Bei dem Gedanken an all die anderen Dinge, die er sich hatte zu Schulden kommen lassen, wurde ihm mulmig. Zum ersten Male fühlte er sich in Gefahr. Die Risiken, die er nonchalant hingenommen hatte, zeigten sich ihm nun in ihrer ganzen Vielfalt. Doch mit einem Male zweifelte er daran, ob er die Konsequenzen
Weitere Kostenlose Bücher