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Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Titel: Paradies. Doch kein Himmel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthea Bischof
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übel. Ich weiss wirklich nicht mehr weiter.“
    „Soll ich von dem Strohrum holen?“fragte Ignacio teilnamevoll, aber Vincent winkte mit einem Grinsen ab.
    „Danke, aber ein Morena wäre gut“, meinte er darauf und Ignacio verschwand.
    Vincent dachte nach, während er auf die verstreuten Gäste blickte. Da war ein verwirrter Alter in einer vor Schmutz starrenden Decke. Sein verbleibendes Haar fiel in Strähnen über das Gesicht und zwischen den geöffneten Lippen sah Vincent Stümpfe brauner Zähne. Der Alte sass sich vor und rückwärts wiegend auf seinem Stuhl und manchmal liess er einen leise klagenden Laut vernehmen. Er hockte die meiste Zeit bei Ignacio, Vincent hatte ihn schon ein paarmal gesehen. Nun aber bewegte ihn der Anblick dieses Gestrandeten zutiefst. Vincent starrte auf den murmelnden Mann und eine unbestimmte Kälte fasste ihn an. Er konnte nicht sagen, was daran so schrecklich war, in La Chacarita einen Bettler zu sehen. Es gab weiss Gott genug davon. Heute aber berührte ihn etwas noch viel tiefer, er sah ein Ausmass von Alleinsein, von vollkommener Verlassenheit. Er musste den Blick abwenden.
    Als Ignacio zurückkam, starrte Vincent angestrengt auf den Tisch und sein Bier trank er fast schweigend.
    Im Gehen leerte er seine Taschen, sein Portemonnaie und seine Notreserven in fremder Währung und reichte sie Ignacio.
    „Bist du verrückt? Was soll das denn?“ rief dieser aus und wehrte mit beiden Händen ab.
    Vincent legte die Scheine vor Ignacios Arme auf den Tisch.
    „Komm schon, was soll ich damit, wenn ich Landesverweis bekommen sollte, dann kann ich überhaupt nichts mehr machen. Aber wenn ich dann pleite bin, müssen sie bei der Ausreise für mich sorgen und daheim ist meine Familie, die haben auch noch einen Teller Suppe für mich. Du nimmst es jetzt, besser als ich. Denk einfach, es ist eine Schadensersatzzahlung, dafür, dass ich es dir bei der Regierung versaut habe“, beharrte Vincent und stand auf.
    „Das kann ich trotzdem nicht annehmen, wir sind doch Freunde“, rief Ignacio vorwurfsvoll.
    „Genau, wir sind Freunde. Darum wollen wir nicht auf Stolz machen und so. Was soll’s, Stolz und Ehre machen nicht satt. Wenn du’s brauchen kannst, ist gut, sonst gibst du dem Alten dort hinten einen von mir aus. Wirklich, ich nehm’s nicht mehr zurück!“ rief Vincent. Er legte Ignacio kräftig die Hand auf die breite Schulter und verliess den Hof.
    Ignacio blickt e auf die Bündel von Banknoten und nahm sie langsam in seine Hände. Es waren fünfhundert US-Dollar und etwa der Gegenwert von weiteren zweihundert in Guarani. Mehr als er jemals besessen hatte.
     
     
    Curdin Müller hielt ein Schreiben des Zivilgerichts von Asunción in der Angelegenheit Vincent Thal als Mitarbeiter des Internationalen Roten Rings in Händen. Der Angeklagte, besagter Herr Thal, trage, so hiess es, nicht zum guten Ruf des Hilfswerks bei. Sittenlosigkeit und wirtschaftlicher Wildwuchs wären für ein Land wie Paraguay eine grosse Katastrophe und würden die Lage nur verschlimmern, in der das Land derzeit sei. Ihm als dem Leiter der Niederlassung wurde nachgerade nahegelegt, die Mitarbeit von Herrn Thal in seinem Stab zu überdenken. Unterschrieben war das Schreiben von einer Frau F. Lopez und darunter stand eine Telefonnummer.
    Curdin war mulmig, als er zu lesen begann, doch als er bis zur Grussfloskel gelangt war, zitterte er wie Espenlaub und seine Hände waren schweissnass. Er atmete schwer und dachte an die unglaublichen Schwierigkeiten, die Vincent ihm da eingehandelt hatte. Wie hatte dieser so rücksichtslos hinsichtlich seines guten Rufs handeln können? Wie hatte er sie alle in Gefahr gebracht?
    Curdin dachte einen kurzen Moment daran, wie er Vincent selbst zu Zeiten bewundert hatte. Dessen Nonchalance und seine Leichtigkeit, die Dinge zu überblicken und Schwierigkeiten zu lösen. Nun aber sah sich Curdin getäuscht, denn Vincent hatte nicht gut gehandelt, er war unbedachtsam und gedankenlos gewesen. Einfach gedankenlos, das musste Curdin jetzt einsehen. Er hatte eine Laus in seinem Pelz getragen: Dieser hatte seine Position im Hilfswerk und die ganze Niederlassung in arge Gefahr brachte. Vincent hatte in einer Weise gehandelt, wie es kein Mitarbeiter des Internationalen Roten Rings hätte tun sollen. Es ging nicht, dass man die Gebräuche und Interessen des Landes, wo man vor Ort war, derart mit Füssen trat. Curdin sah es ganz deutlich vor sich. Die hiesigen Gepflogenheiten mussten

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