Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
Haut. Sie hörten nicht auf die Worte, sie achteten nicht der Gebärden, sie naschten vom Buffet. Sie schenkten dem schweren Mann ihr beseligendes Lächeln, überschwappend von einer Liebenswürdigkeit, die weder Herz noch Dauer kannte.
Bei Tisch übergab Herr Marcial dem frischgebackenen Minister die hellere der beiden. Währenddessen wurden sich die Herren einig, gegen welche Summe Marcial seine Vorrechte bei Zoll und Steuerbehörde weiterhin behalten sollte. Es bedurfte keines Handschlags, den Handel zu besiegeln. Auf Marcial war Verlass. Die blondierte Schöne sah nicht im Mindesten so jung aus, wie sie war. Ebenso kannte sie die alle Tricks, auf einem noch so harmlosen Foto verräterisch zu posieren. So hielten sich beide Herren an ihre jeweiligen Sicherheiten, während durch die klingenden Lüster die nächtliche Meerluft ging und die Korken mit dezentem Knall von Ruhm und Ehre kündeten.
Den leeren Platz an Herrn Marcials Seite nahm diskret Madame Frisolé ein. Sie hatte schon ganze Arbeit geleistet und dieser war eine geringe Beute im Teich, in dem sie fischte. Sie zirpte wie gewöhnlich, doch Marcial gab sich kühl. Dann aber brachte sie ihre wahren Reize ins Spiel und all seine Aufmerksamkeit war die ihre: Sie liess ihren politischen Einfluss durchblicken und ihre Verbindungen in Europa, da wandte er sich ihr zu und sie sprachen angeregt miteinander. Madame Frisolé lockte und band, sie versicherte und bot an, bis das Geschäft zustande kam. Als die Nacht verstrich, verliessen sie gemeinsam den Festsaal.
Gegen Morgen erhielt Marcial die Fotos von der Blonden mit dem Minister in einer schwarzen Limousine. Er legte die Bilder in eine besondere Mappe und verschloss das wertvolle Stück an seinem sicheren Ort. Anders als der aufstrebende Minister hatte er dessen Preis nie vergessen.
Luz kam nach ihrem freien Tag ins Büro zurück. Wie jeden Morgen setzte sie sich an die ihre Arbeit, korrigierte die Berichte, tippte, vervollständigte und besorgte die korrekte Ablage. Sie war eine mustergültige Mitarbeiterin, wenn sie auch den Ruf hatte, ausnehmend abweisend sein zu können. Über Mittag blieb Luz in der Cafeteria, denn sie hatte Einiges aufzuholen und wollte keine Zeit verlieren. Sie wusste, dass sie konzentrierter und exakter arbeitete als die meisten ihrer Kollegen. Deshalb verliess man sich auf sie. Adelaida, ihre Bürokollegin, liess immer etwas liegen, was ihr keinen Spass machte oder schlug eine Arbeit ganz und gar aus. Luz tat das nie. Sie wusste, wie viel sie zu verlieren hatte und wie viel zu gewinnen, wenn sie sich unentbehrlich machte.
Adelaida setzte sich eben die Nachmittagsration Tereré auf und begann am Herd stehend von einer aussergewöhnlichen Verhaftung zu erzählen. Gestern sei dieser flachshaarige Mann eingesperrt worden, der vor ein paar Monaten ihre Schreibmaschine benutzt habe. Sie hätte sich sofort an ihn erinnert. Er sei doch so höflich gewesen, nun aber schien es, er habe arme Leute benutzt, um sich zu bereichern. Die humanitäre Hilfe liege ihm wohl weit weniger am Herzen, als es damals geschienen habe. Wie man sich doch in Menschen täuschen könne.
Luz erstarrte während eines Sekundenbruchteils. Es war vollkommen unglaublich. Wie hatte Vincent es geschafft, sich derart in Schwierigkeiten zu bringen? War er von Sinnen? Was hatte er der Polizei erzählt? Was wussten die nun möglicherweise von ihr?
Sie blickte sich diskret um und versuchte herauszufinden, ob ihre Kollegen sie anders ansahen als sonst, aber niemand schien sie besonders zu mustern. Sie atmete auf.
„Was hat er gemacht?“, fragte sie dann so beiläufig wie möglich.
„Er hat anscheinend Leute, weisst du, solche aus den Slums die sowieso nicht wissen, was sie tun und was recht ist, für sich eingesetzt, um Geld zu verdienen“, erklärte Adelaida.
„Wirklich? Die verdienen doch fast nichts, wieso soll er sich ausgerechnet an denen bereichern, die sowieso auf keinen grünen Zweig kommen?“ fragte Luz, die oft gehörte Verachtung gegen La Chacarita wie immer übergehend.
„Ich sage dir doch, der Mann ist seltsam. Ehrlich gesagt fand ich ihn sympathisch, als er hier war. Aber so falsch sind die Leute, siehst du, so falsch“, fuhr Adelaida fort und seufzte.
Luz blickte vor sich auf das gefüllte Käsebrötchen. Sie hatte Vincent durchaus nicht sympathisch gefunden, als er bei ihnen aufgetaucht war, aber sie wusste mit Sicherheit, dass er ein weit besserer Mensch war, als Adelaida es sich
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