Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
das war schon immer so gewesen.
Für ein paar Jungen aus La Chacarita war es ein Aufstieg, in diese Sicherheitstruppen einzusteigen. Sie erhielten nun einheitliche Waffen und mussten nicht mehr selbst für ihre Versorgung aufkommen. Dafür waren sie angehalten, ihre eigenen Nachbarn und Freunde in Schach zu halten. Doch für ein bisschen Luxus lohnte sich der Seitenwechsel.
„Wer in Chacarita kämpfen gelernt hat, kann es noch, wenn er Chacarita verlassen hat“, sagten die Leute, wenn sie die ausstaffierten Halbwüchsigen am Rande der unbefestigten Stadt auf und ab gehen sahen. Anders als die verbleibenden Jugendlichen in Chacarita waren sie nun besser genährt und sie schmückten sich mit auffälligen Tätowierungen. Sie spuckten aus, wenn sie an der Kirche vorbeikamen und sie achteten nichts mehr. Sie sonnten sich in ihrer neuen Macht und genossen ihr Ansehen im Slum. Wussten diese doch nicht, dass sie ihren Brotgebern nur als billige Waffenträger bekannt waren.
Ihnen standen die gegenüber, die in Chacarita selbst ihr Glück versuchten. Es waren die Banden, die ihren Teil des Schwarzhandels regulierten und die Preise festlegten, zu denen die Strassenhändler einkauften. Sie organisierten sich nach unbeugsamer Hierarchie und ihre Macht gegen die eigenen war so hart wie gegen ihre Feinde. Sie unterdrückten, wen sie nur massregeln konnten, wie sie es schon immer getan hatten und versorgten die schmucken Villen mit verlassenen Kindern für niedere Hausdienste und andere Gefälligkeiten.
Doch mit dem Hunger erlangten die Banden neue Macht in den Elendsvierteln. Sie verfügten über einen Lastwagen und einen alten Personenwagen, den sie mit ihren Emblemen und Totenköpfen schmückten. So gerüstet machen sie sich auf an die Strassen von Süden und überfielen die Lastwagen, welche Nahrungsmittel aus dem Umland brachten. Mit vermummten Gesichtern überfielen sie die Fahrer, hievten auf ihre eigenen Wagen, was sie bekommen konnten und brachten es in die Slums. Nun legten sie ihre Preise und Forderungen fest und verteilten nach reiner Willkür ihre Beute. Das Leben in den Banden hatte sie hart und gnadenlos gemacht, sie hatten wenig Solidarität mit ihren eigenen Familien und Freunden mehr. Mancher verlangte für ein paar Bohnen von seinem Bruder so viel wie von jedem anderen und wie reissende Wölfe verteidigten sie ihr Revier.
Im Gegensatz zu den en, welche auf die Seite der improvisierten Privatmiliz gewechselt hatten, waren sie nicht bequem geworden. In La Chacarita wurde man nicht bequem. Man erhielt sich seine bedingungslose Härte, bis einer kam, der noch härter war. So waren sie immun gegen die Klagen ihrer Mütter und Schwestern, gegen die Schälte ihrer Väter und Onkel und erbarmungslos gegen die weinenden Kinder, die sie hämisch beschimpften und wegschleppten, wenn sie ihrer habhaft wurden. Wer in den Banden war, musste gehorchen wie ein elender Söldner, doch er hatte die Mittel, sich zu versorgen. Wenn er nicht vor der Zeit der Rauschsucht erlag, konnte er sich eine annehmliche Situation verschaffen. Die anderen fanden ihr Ende eben in den sandigen Ufern des Rio Paraguay.
Die Wut anderen Bewohner der Slums aber stieg und gährte immer weiter. Sie fanden nirgends Unterstützung und niemand nahm sich ihrer an. Sie arbeiteten für fast nichts und ihr magerer Gewinn ging an die Schutztruppen oder an die Banden.
U mso mehr der Hunger wuchs, umso üppiger schwelte der Hass. Zuletzt versiegte die Angst vor den Waffen und der Demütigung und eine Gruppe rottete sich zusammen. Schreiend und bewaffnet mit Stangen, Balken und Messern rannten die Hungrigen nach dem blanken Zentrum von Asunción und stürmten in die Läden und Warenhäuser. Zu viele waren es, um von den Sicherheitsleuten abgehalten zu werden. Wie eine mächtige Schlange, die aus dem seichten Schlamm des dunklen Flusses hervorkriecht, drangen sie in die helle Stadt und zerrissen gierig Ordnung und Recht. Raffend rissen sie an sich, was sie sättigte und wärmte, bis sie beladen und satt in ihre Hütten zurückkehrten, die dem Regen nur selten standhielten.
Ein paar nur waren unter den Prügeln der Aufpasser zu Grunde gegangen und ihr Blut auf den hellen Steinen wurde sorgsam hinweggespült.
„Guten Tag Herr Thal. Sind Sie gut gereist?“
Vincent war auf das Hauptquartier des Internationalen Roten Rings vorgeladen. Er war durch die gläserne Türe des leicht altmodischen weissen Gebäudes getreten. Vor dem leerem Portal verkündete
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