Paradies für alle: Roman (German Edition)
am Ende doch noch hingeht und mit ihm reden will, und das will Rosekast bestimmt nicht, er will nur seine Ruhe da draußen im Wald.
Claas hat gefragt, ob er etwas Schlaues, Erwachsenes sagen soll über die Werkstatt, wie zum Beispiel, dass es unmöglich ist, ein Paradies zu erschaffen. Ich habe gesagt, nein, das soll er nicht sagen, und da hat er genickt und gesagt, dann sagt er es nicht. Und dann haben wir die Spaghetti gegessen, weil das Erzählen sehr lange gedauert hatte und inzwischen Abend war.
Dem Hund haben wir auch welche gegeben, Claas weiß ja jetzt sowieso, dass er im Schuppen wohnt. Und mit Jarsen wird er reden, er wird ihm erklären, dass ich nie mehr in sein Haus gehen würde, denn das musste ich versprechen.
Ich habe mich gefragt, ob ich Claas fragen soll, ob er mir das Geld leihen kann für Frau Hemke, und ich frage mich, ob Claas sich auch gefragt hat, ob ich ihn das frage. Das sind eine Menge Fragen. Ich habe dann aber keine von ihnen gestellt, weil wir ja nicht reich sind so wie Jarsen und das Geld dann vielleicht woanders fehlt, für Kaffee oder Farben oder so. Ich brauche eine andere Idee.
In Narnia, in dem Film, und natürlich auch im Buch, da brauchten sie nie Geld für irgendwas. Der Löwe konnte einfach alles besorgen, irgendwie. Der Löwe ist wie Gott. Wenn es einen Gott gäbe, könnte der die Dinge vermutlich auch ohne Geld regeln.
Wenn.
Ich setzte mich zu dem Hund auf Davids Bett und streichelte sein zerzaustes Fell und versuchte eine ganze Weile, einen klaren Kopf zu bekommen. Hunde zu streicheln hat etwas Hypnotisches, ich war mir nur nicht sicher, wen ich hypnotisierte: mich oder den Hund.
»Er hat es also die ganze Zeit gewusst«, sagte ich schließlich laut, damit der Satz endlich Form annehmen und in mein Bewusstsein durchsickern konnte. »Claas hat es die ganze Zeit über gewusst. Er hat mich reden lassen, mich erzählen lassen von der Mappe, die ich gefunden habe, von den Geheimschriften, von den Einträgen … Er hat kein einziges Wort darüber gesagt, dass er Bescheid wusste. Aber wie ist diese verdammte Werkstatt ausgegangen? Was ist am Ende passiert? Was war die Idee, die David hatte – die Lösung für alle Probleme? Hat er« – ich versuchte, zu lachen – »eine Bank überfallen? Einen Geldtransporter ausgeraubt? Ein ganzes Kloster von heiligen Samaritern gekidnappt, damit sie all den Leuten auf der Liste helfen?« Mein Lachen klang hysterisch.
Falls David und Claas am zweiten Mai zusammen unterwegs gewesen waren – vielleicht wegen der Paradieswerkstatt –, wohin hatten sie gewollt?
Wenn ich die Augen schloss, sah ich wieder die Mauer um mich. Sie trennte mich von Claas, sie trennte mich von der Welt, sie hatte mich auch von David getrennt. Außerhalb meiner unsichtbaren Mauer waren Claas und David eine Einheit gewesen, die ich nie begriffen hatte.
Aber wie konnte Claas dann wollen, dass David nicht intubiert wurde? Davidstirbtwirmachenesihmnurleichter wennwir …
Ich hielt mein Telefon in der Hand, ehe ich darüber nachdenken konnte, und sah meine Finger Claas’ Handynummer wählen.
Ich ließ es zweimal klingeln. Dann befahl ich den Fingern, die Verbindung zu unterbrechen.
Was sollte Claas denn sagen? Ja, ich habe David auf der Autobahn aus dem Wagen gelassen? Ja, ich habe ihn damals von der Schule abgeholt, ohne dir etwas zu sagen? Ja, ich bin schuld, dass er jetzt im Krankenhaus liegt? Ja, ich erzähle dir, was geschehen ist, natürlich, ich habe nur darauf gewartet, dass du fragst? Nein. Er würde nein sagen. Zu allem. Es leugnen. Auf diese Weise kam ich der Wahrheit nicht näher.
Ich nahm den Hund an die Leine – den provisorischen Strick – und floh aus dem Haus, floh hinaus auf die Felder, eine zweite einsame Spaziergängerin im Dorf. Wo war sie, die erste einsame Spaziergängerin? Sie suchte noch immer nach dem Menschen, den sie lieben konnte, so viel wusste ich, sie hatte zu mir gesagt, dass sie suchte. Und ich? Würde ich je den Menschen finden, den ich lieben konnte, wirklich und wahrhaftig und – für immer?
Ich würde, dachte ich, zu Rosekast gehen, er musste da sein, er musste einfach statistisch gesehen da sein, er konnte nicht zweimal gerade dann weg sein, wenn ich zu ihm ging. David hatte geschrieben, er hätte mir gern gezeigt, wie es war, sich neben Rosekast auf die Bank im Garten zu setzen und zu reden. Auf einmal sehnte ich mich nach Rosekasts Bank, ohne sie je gesehen zu haben. Ich sehnte mich sogar nach Rosekast.
Ich
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