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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Paradies auf Erden nicht erschaffen«, sagte ich. »Ich kann es nicht. Wir können es nicht. Nicht allein.«
»Mein armer David«, sagte Rosekast. Zum ersten Mal sprach er zu mir wie ein Erwachsener zu einem Kind, nicht wie ein Denker zu einem anderen Denker. Und ich war ihm beinahe dankbar dafür. »Mein armer David. Goliath ist nicht nur größer. Goliath ist die ganze Welt. David … das Gemüse, das ihr im Herbst gepflanzt habt … ein paar von den Sachen kommen wieder, trotz der Wildschweine.«
Als könnte mich Gemüse trösten, dachte ich. »Gut«, sagte ich.
»Komm her«, sagte Rosekast. »Komm her und lass uns reden.«
»Ja«, sagte ich. »Bald.«
Ich legte auf und sehnte mich nach der Bank. Vor dem Fenster war nur Berlin, und ich wusste, ich würde noch mehr unglückliche Menschen zwischen den glücklichen sehen, wenn ich mich aus dem Fenster beugte. Dabei ist Berlin keine besonders unglückliche Stadt, glaube ich. Es gab mehr Städte und mehr Unglück. Ich machte den Hotelfernseher an, und darin gab es noch mehr Unglück, es kamen Nachrichten, und in dem Flachbildschirm explodierten Granaten und starben Menschen im Krieg, wirkliche Menschen, keine Schauspieler, sie starben wirkliche Tode, zu Tausenden, zu Millionen, und andere Menschen flohen und wurden in Flüchtlingslager gepfercht, und wieder andere Menschen verhungerten oder erfroren, es gab kein Ende des Unglücks, die ganze Welt bestand aus Unglück. Es war unendlich und daher unvorstellbar wie das Nirwana.
Und wie im Nirwana gab es kein höheres Wesen in diesem Ozean aus Unglück, keinen weisen goldmähnigen Löwen, keinen Gott.

Aber es muss einen Gott geben.
Ich habe darüber nachgedacht, an dem Abend im Hotelzimmer, während ich ganz alleine im Bett lag. Allein aus der Notwendigkeit heraus muss es einen Gott geben. Keinen weisen alten Mann mit Bart, sondern eine andere Sorte von Gott, eine philosophisch erklärbare Sorte von Gott … etwas, das vielleicht gar nicht Gott heißt, aber Gott ist. Es muss ihn geben, weil ich einen Gott brauche, um das Unglück zu besiegen.
Erstens.
Zweitens gibt es noch einen Grund dafür, dass es entgegen meiner früheren Annahmen einen Gott gibt. Nämlich den, dass Glück existiert. Es gibt glückliche Menschen. Es gibt schöne Dinge. Es gibt, würde Lotta sagen, Schokolade. Er muss existieren.
Wie kann man das zusammenbringen – es kann keinen guten Gott geben, weil es Unglück gibt, und es muss einen guten Gott geben, weil es Glück gibt?
Die Frage lautet:
Wenn es einen guten Gott gibt, weshalb lässt er dann das Unglück zu?

Lovis hat mich am nächsten Morgen gefragt, ob ich geweint hätte, weil meine Augen rot waren. Ich habe gesagt, das kommt vom Nachdenken, aber ich konnte ihr nicht sagen, worüber ich nachgedacht hatte, es ging einfach nicht.
Wir sind dann zurückgefahren, durch Straßen aus Unglück, und ich habe die Augen zugemacht, weil sie zu sehr brannten vom Nachdenken.
Einen Tag später, und das war gestern, gleich nach der Schule, war ich mit Lotta bei Rosekast.
Er saß auf der Bank wie immer und sah auf das Wasser hinaus, das kein Meer war, sondern ein See.
Er hatte auf uns gewartet.
Ich erklärte ihm meine Gedanken, während Lotta Kaugummi kaute und zuhörte und vermutlich nichts verstand. Ich erklärte so rasch, dass ich mich verhedderte und immer wieder der Länge nach in mein eigenes Gedankengerüst fiel, aber Rosekast verstand mich trotzdem.
»Ich habe«, sagte ich, »eine Theorie entwickelt. Sie heißt Die Theorie von der dualen Natur Gottes.«
Falls Sie das nicht wissen: Es gibt eine Theorie von der dualen Natur des Lichts. Die ist von Einstein. Sie besagt, das habe ich gelesen, dass das Licht erstens Welle ist und zweitens Teilchen. Als Welle ist es nur Bewegung, und als Teilchen ist es aus Teilchen. Das kann man nicht verstehen.
Es kommt auf den Betrachter an, nehme ich an, und auf das Licht.
Bei Gott ist es ähnlich.
Gott ist erstens in den Menschen. Er ist die Summe von allem Guten in allen Menschen. Jedenfalls könnte man diese Summe so nennen: Gott.
Zweitens ist Gott der alte Mann mit dem Bart. Den haben die Menschen sich ausgedacht, weil sie sich die Summe von allem Guten nicht vorstellen können.
Als ich mit meiner Theorie so weit gekommen war, ließ Lotta eine Kaugummiblase platzen und sammelte die Stücke von ihrem Gesicht. »Das«, sagte sie, »verstehe ich nicht. Wie kann Gott zwei Sachen sein?«
»Das ist jetzt egal«, sagte ich, denn ich wollte Rosekast dringend endlich

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