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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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auf der Jesus im Garten Getsemane betete. Mein Gott, warum hast du mich verlassen?
    Der Satz war mit einem orangefarbenen Marker angestrichen, genau wie das ausgeschnittene Zitat, das Rosekast mir geschickt hatte. Hatte Rosekast den Satz angestrichen, oder war es David gewesen? Und was bedeutete es? War es ein weiterer Beweis für Gottes Abwesenheit?
    Ich nahm den Hund wieder an die Leine und schloss die Vordertür ab. Ich würde in den Wald gehen, endlich, endlich den alten Herrn besuchen. Womöglich wartete er auf mich.

    Ich kam nicht weit. Ich traf Lotta.
    Und Lotta hielt etwas in der Hand. Einen Umschlag.
    »Ich wollte zu dir«, sagte sie, kaugummikauend. »Dir was geben.«
    Endlich, wollte ich sagen. Doch ich war noch immer zu sehr Lovis, um das zu sagen.
    »Und ich wollte zu Rosekast«, sagte ich. »Sollen wir zusammen hingehen?«
    Lotta zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls ist das für dich«, sagte sie und streckte den Umschlag aus. »Glaub ich. Ich hab drüber nachgedacht. David meinte, es ist geheim. Aber wenn’s geheim ist, warum hat er’s dann geschrieben? Er hat gesagt, ich soll’s aufbewahren, das war an dem Tag, bevor er weg ist, und ich hab’s ja jetzt die ganze Zeit aufbewahrt, oder, ich glaub, jetzt bewahrst du’s besser auf.«
    Ich nahm den Umschlag aus ihrer Hand mit den sehr dreckigen Nägeln. Es war ein großer brauner Umschlag, und so, wie er sich anfühlte, enthielt er ein paar Blätter Papier.
    »Ist das der letzte Werkstattbericht?«
    Lotta zuckte wieder die Schultern.
    »Hast du es nicht gelesen?«
    »Nee«, sagte Lotta. »Er hat mir ja gesagt, was drinsteht.«
    Dann drehte sie sich um und rannte weg, ganz schnell, als wollte sie auf keinen Fall noch etwas gefragt werden.
    Ich ließ den Hund von der Leine und setzte mich mit dem Umschlag auf die Stufen vor unserer Haustür, zwischen die Kastanienbäume. Rosekast hatte lange auf mich gewartet. Er würde wohl noch ein wenig länger warten.
    Meine Hand zitterte, als ich den Umschlag aufriss. Die Seiten darin waren mit Hand beschrieben, in Davids großer Tinten-Schülerschrift, rührend kindlich im Vergleich zu den anonymen Buchstaben einer Schreibmaschine. Die Worte waren nicht verschlüsselt.
Werkstattbericht – Eintrag 13
1.5.

Gott ist fortgegangen. Ich habe ein paar Tage darüber nachgedacht. Und dann ist es mir eingefallen, und ich bin zurück zu Rosekast gewandert.
Ich war so aufgeregt, dass ich schon anfing, zu reden, ehe ich die Bank erreicht hatte, auf der er saß. »Es ist schon einmal passiert«, sagte ich. »Es ist schon einmal so gewesen! Ich hatte nicht daran gedacht, aber dann habe ich doch daran gedacht, und ich habe es noch mal nachgelesen, in Frau Hemkes Bibel. Gott wollte nichts mehr mit den Menschen zu tun haben, weil sie böse waren, und dann kam Jesus und hat ihn versöhnt.«
»War das so?«, fragte Rosekast. »Setz dich doch.«
»Ich kann mich nicht setzen«, sagte ich und hüpfte beinahe auf der Stelle auf und ab. »Natürlich war es so, es steht doch hier …«
»Ich dachte, Jesus war Gottes Sohn, den er geschickt hat, um die Menschen zu versöhnen?«
»Glauben Sie das?«
»Ich habe es einmal geglaubt, früher, als ich noch Christ war. Jetzt … nein.«
»Jesus war einfach irgendwer, es gab ihn, als histrionische Figur«, sagte ich. »Er hatte auch einen Vater und eine Mutter und lauter Geschwister, vielleicht sogar Kinder, das weiß man wohl nicht so genau. Aber er hat Sachen gepredigt, wirklich, das hat er, und er wollte Gott mit der Menschheit versöhnen. Damit er wiederkommt. Er hat es geschafft. Gott war dann für eine ganze Weile wieder da. Aber eigentlich … eigentlich war das ein Trick. Es ging nämlich gar nicht um Gott. Sondern darum, dass die Menschen das Gute in sich wiedergefunden haben. Das verschüttet war. Jesus hat es ent-schüttet, weil er sie so sehr beeindruckt hat, mit dem, was er gemacht hat, vor allem mit dem ganz am Ende.«
»Wie hat er das denn angestellt?«, fragte Rosekast, und er klang ein wenig alarmiert, denn natürlich wusste er das selber.
Deshalb antwortete ich ihm nicht. »Interessant ist«, sagte ich stattdessen, »dass Jesus ja immer diese Dinger erzählt hat, Parabeln, also, Geschichten, in denen er Bilder benutzt hat, die für etwas anderes stehen. Eigentlich hat er wohl Gott, den Vater oder wie, auch nur als Bild benutzt. Für das Gute, das man in den Menschen finden kann. Daraus kann man wiederum schließen …« Ich holte tief Luft. »Jesus hat gar nicht an Gott

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