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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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schafft es in der Stadt.«
    »Was? In welcher Stadt?«
    »Irgendetwas. In irgendeiner Stadt.«
    Wir schwiegen eine Weile. Draußen sah ich Lotta am Schafszaun lehnen, zu ihren Füßen der Hund. Würde Livia ihr Kaugummis schicken, von wo auch immer? Würde sie je von sich hören lassen? Und würde Lotta, wenn sie so alt wäre wie Livia, weggehen, in irgendeine Stadt, um es dort zu schaffen oder nicht zu schaffen? Sie würde es schaffen, dachte ich. Was auch immer. Auf ihre kaugummikauende und stoische Art würde sie es schaffen.
    Aber ich hatte schon einmal den Fehler gemacht, zu glauben, ein sehr selbständiges Kind käme gut allein zurecht, weil das so praktisch war.
    Mit einem Schulabschluss wäre es leichter für Lotta. Jemand müsste ihr in der Schule helfen, ihr und ihren herumschreienden Geschwistern. Jemand. Ich. Ich schrieb Lotta und Geschwister im Geist auf meine Liste.
    »Herr Jarsen«, sagte ich schließlich und versuchte, meiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Sie sind eigentlich hier, um mir zu erzählen, was am zweiten Mai passiert ist.«
    Jarsen drehte sich zu mir um. »Es war ein Zufall. Sie glauben mir das nicht, ich weiß, aber es war ein Zufall. David stand an der Straße und versuchte, ein Auto anzuhalten. Ich dachte, es ist besser, ich nehme ihn mit als irgendjemand. Ich war in der Stadt gewesen und auf dem Weg nach Hamburg, geschäftlich … nein, nicht geschäftlich. Ein Bekannter hat mir erzählt, er hätte sie dort gesehen.«
    »Sie? Ihre Frau.«
    »Ja. Ich habe sie natürlich nicht gefunden, vielleicht hat er sich getäuscht … David stand jedenfalls da und hielt den Daumen raus, und ich habe angehalten. Ich habe ihn gefragt, ob er nach Hause will, aber er hat den Kopf geschüttelt. Ich fahre nach Hamburg, habe ich gesagt, und er hat genickt und gesagt, das ist gut, er muss in die Richtung, und ich wollte wissen, wohin genau und warum, aber er hat nur die Schultern gezuckt. Er meinte, er will einfach mitfahren, das reicht schon, wir würden doch die Autobahn nehmen? Ich meinte, ja, und ich dachte … ich dachte, er haut ab. Von Zuhause. Ich bin auch mal abgehauen, als ich zehn oder elf war. Sind Sie mal abgehauen?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Ich habe ihn gefragt, ob er zu jemandem will, den er kennt, und er sagte, ja, so ähnlich, er will jemanden abholen. Ich, damals … ich wollte zu meiner Tante. Ich hab es nicht geschafft, weil mich niemand mitgenommen hat, aber es wäre besser gewesen, wenn ich dort angekommen wäre, glaube ich. Meine Eltern … egal. Jeder hat seine eigenen Probleme. Ich dachte, ich liefere David einfach irgendwo ab, bei irgendwem, wenn Sie verstehen, ich dachte, wenn er erst mal eine Weile im Auto ist, sagt er mir, zu wem er will.«
    »Sie dachten nicht zufällig, es wäre praktisch, wenn er verschwinden würde? Weil er Sie mit Livia erwischt hat?«
    »Was?« Jarsen starrte mich an. »Sie brauchen einen Schuldigen«, sagte er dann. »Ja. Das verstehe ich.«
    »Bitte. Erzählen Sie weiter.«
    »Wir haben an einer Tankstelle gehalten, vor der Autobahn, und David hat eine Tafel Schokolade gekauft. Er hat mir was angeboten und gesagt, wissen Sie, dass Schokolade der Beweis dafür ist, dass es einen guten Gott gibt? Nicht wirklich, natürlich … Das hat jemand gesagt, den ich sehr gern habe … So oder so ähnlich hat er es gesagt, und ich dachte noch: Dieser Junge ist wirklich seltsam. Dann waren wir auf der Autobahn, und er sagte nichts mehr, wir haben die Schokolade geteilt und Musik gehört. Ich weiß inzwischen, wenn wir Radio gehört hätten, hätten wir die Vermisstenmeldung gehört … Ich wartete immer noch darauf, dass er mir erklärte, zu wem er nun wollte, und als ich einmal zu ihm hinübersah, da war er eingeschlafen. Und dann ist er aufgewacht und hat gefragt, wie spät es sei, und ich habe es ihm gesagt, es sei Viertel vor acht, und er hat ganz plötzlich gesagt, ich solle anhalten. Sofort. Ich meinte, Unsinn, ich halte doch nicht mitten auf der Autobahn an, was denn los sei, und er sagte, er müsse dringend aufs Klo. Er klang so verzweifelt, ich weiß nicht … da habe ich angehalten. Auf dem Seitenstreifen. Kurz nach der Ausfahrt Rostock Südstadt. David ist aus dem Auto gesprungen und über die Leitplanke geklettert, da waren ein paar Büsche, da verschwand er, und ich wartete. Er kam nicht wieder.«
    »Er kam nicht wieder?«
    »Nein. Irgendwann bin ich natürlich auch ausgestiegen und ihm nachgegangen, habe gerufen … Ich habe ihn

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