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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Gott gibt?‹
    ›Weil wir uns gerne etwas schenken?‹
    ›Aber wer macht, dass wir uns gerne etwas schenken? Doch Gott? Oder eine Art höheres … Prinzip? ‹
    ›Hm‹, sagte ich. ›Wer weiß?‹
    ›Das ist es nämlich‹, meinte David. ›Niemand. Niemand weiß, ob es Gott gibt. Und das ist doch komisch, wo man heute so viele andere Dinge weiß.‹
    Dann sprang er von der Anrichte, wobei der Adventsstrauß mit seinen Zweigen wippte, und all seine gebastelten Stoffzwerge wippten mit.
    ›Wenn es Gott gibt, ist er ziemlich komisch‹, sagte David und öffnete die Verandatür. Ein Schwall kalter Winterluft schwappte herein. David schlüpfte in seine Schuhe.
    ›Wohin gehst du?‹, fragte ich.
    ›Zu den Weiden‹, sagte er. ›Ich muss in Ruhe eine Liste der Dinge machen, die ich Rosenquist über Jesus fragen muss.‹
    Am liebsten wäre ich ihm nachgelaufen und hätte mich zu ihm in eine der zerbrochenen Weiden gesetzt. Aber ich habe es nicht getan.«
    Claas verstummte. Ich merkte, dass er neben mir auf dem Boden des Ateliers saß, er hatte seinen Platz im Türrahmen an irgendeinem Punkt der Erzählung verlassen, ohne dass es mir aufgefallen war.
    »Nicht Rosenquist«, sagte ich leise. »Rosekast.«
    »Wer ist das? Sein Lehrer?«
    Ich überlegte einen Moment. »Ja«, sagte ich dann. »Sein Lehrer. Und der Mann mit dem Herzhusten ist Herr Wenter. Der mit dem Kater, der immer bei uns im Garten herumstreunt …«
    »Ach«, sagte Claas, und man hörte, dass er keine Ahnung hatte, von welchem Kater ich sprach. »Also ist Herr Wenter mit David befreundet? Du … weißt eine Menge Dinge über David.« Er seufzte, und sein Satz implizierte den Zusatz »im Gegensatz zu mir«.
    Aber ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich. »Leider nicht. Immerhin konnte er mit dir über Gott reden. Mit mir nie. Du … hättest häufiger da sein sollen.«
    »Ja«, sagte Claas. »Er hätte mich gebraucht.«
    »Hätte«, wiederholte ich. »Claas. Er braucht dich immer noch.«
    Claas zögerte. »Wenn er wieder gesund ist«, sagte er schließlich, »werde ich häufiger zu Hause sein.«
    Etwas an seinem Tonfall gefiel mir nicht, aber ich wusste nicht, was es war.
    Er stand auf und ließ mich alleine auf dem Boden des Ateliers zurück, neben einem Haufen zerrissener Leinwand mit gebrochenen Nichtfarben. Grau und Weiß.
    Bleib doch, wollte ich sagen. Ich sagte es nicht.
    Ich dachte wieder an Eintrag Nummer 4 und schob alles Hadern mit dem Schicksal beiseite, alle Eifersucht auf Herrn Rosekast, mit dem David gesprochen hatte. Was ich brauchte, waren Tatsachen.
    Tatsache war, dass David mit der Erweiterung seines Projekts begonnen hatte, einer Menge Leute auf die Füße zu treten. Aber jemand versuchte nicht, ein Kind zu beseitigen, nur weil es sich einmischte, wenn der Jemand seinen Hund schlug. Oder weil sich das Kind gegen den Verkauf eines Gemüsegartens stellte. Oder weil es mit angesehen hatte, wie ein Streit um ein Fahrrad eskalierte. Und – wenn doch?

    »Und dann habe ich mich aufgeführt wie ein schlechter Detektiv aus einer Fernsehserie«, sagte ich viele Stunden später zu Thorsten Samstag. »Ich bin durchs Dorf gerannt und habe versucht, den Leuten Fragen zu stellen, aber vielleicht wissen Sie, wie das ist. Man bekommt keine Antworten.« Ich schüttelte den Kopf. »Ganz besonders dann nicht, wenn man Fragen stellt.«
    Ich beugte mich vorsichtig vor und berührte eine der goldenen Haarsträhnen, die in Davids Stirn lagen. Sie war unwirklich weich, wie das Fell eines sehr kleinen, hilflosen Tieres. Die Apparate um uns summten und piepten leise und monoton. Das Frühlingslicht, das durchs Fenster schien, verwandelte sich hier in die gedämpfte Erinnerung an einen Herbst. Einen Oktober, in dem ein kleiner Junge einen Hundebesitzer verärgert hatte.
    »Was haben Sie die Leute denn gefragt?«, wollte Samstag wissen. Er hockte neben Davids Bett und tat irgendetwas mit den Plastikhebeln am zentralen Venenkatheter, der seitlich unterhalb von Davids Hals begann. Er hätte, was immer er tat, sicher auch im Stehen tun können, ich hatte den Verdacht, dass er auf dem Boden hockte, weil ich auf einem Stuhl saß und weil ich sonst zu ihm hätte emporreden müssen. Ich hatte eigentlich auch den Verdacht, dass es an dem zentralen Venenkatheter schon lange überhaupt nichts mehr zu tun gab. Er blieb einfach, um zuzuhören, weil er wusste, dass ich jemanden brauchte, der zuhörte. Er hörte schon eine ganze Weile zu, den ganzen letzten

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