Paradies für alle: Roman (German Edition)
finde:
atemnötig
Fliederbeeren
ultramarinblau
bemoost
Sehnsucht
Aroma
fragil
Nachtschattengewächs
goldgelb
Wachstumszyklus)
Da lag also der Tisch auf dem Boden, und die Kaffeetasse, die Lotta beim letzten Mal als Blumenvase benutzt hatte, war umgekippt. Die Blumen lagen vertrocknet auf dem alten abgewetzten Fransenteppich. Lotta schüttelte nur den Kopf. »Der hat wirklich keine Ahnung davon, wie man Ordnung hält«, sagte sie, und wir stellten den Tisch wieder hin.
Draußen setzten wir uns rechts und links neben Rosekast, wie wir es immer taten. Und ich erzählte ihm alles von Tielows Hund und Hemke Junior und dem metallicblauen Fahrrad und René.
»Es gibt so viele böse Leute«, sagte ich am Ende und schlug mit der Faust gegen die Bank. »So viele! Und nun bin ich mir nicht sicher – was ist denn mit diesen Leuten, wenn wir das Paradies tatsächlich geschaffen haben? Verschwinden sie? In diesem Fall wäre es kein Paradies für diese Leute, aber ein Paradies müsste ja für alle sein … Kann man die bösen Leute ändern, damit sie gut werden?«
»Die erste Frage ist«, sagte Herr Rosekast bedächtig, »was ist überhaupt böse?«
»Wenn man Schwächeren weh tut«, sagte Lotta, was ein bisschen klang wie aus einem Schulaufsatz.
»Ist«, fragte Herr Rosekast und sah aufs Wasser hinaus, »ein Tiger böse, der eine Antilope frisst? Oder ein Huhn, das einen Wurm frisst?«
Das war eine rhetorische Frage. Falls Sie das nicht wissen: Das bedeutet, dass man darauf nicht zu antworten braucht, weil die Antwort in der Frage implifiziert ist. Ein Tiger, der eine Antilope frisst, ist nicht böse, er ist ein Tiger. Und ein Huhn, das einen Wurm frisst …
»Das Huhn und der Wurm sind unterschiedliche Speziesse«, sagte ich. »Und eins frisst den anderen, natürlich. Aber wenn wir nun zwei Geschöpfe der gleichen Spezies haben, eines stark und eines schwach …«
»Ist«, fragte Rosekast weiter, »ein starker Tiger böse, der einem schwachen die Beute wegfrisst?« Ich wollte »ja« sagen, aber es war wieder eine rhetorische Frage gewesen, die man mit »nein« beantworten musste. »Der stärkere Tiger … oder das stärkere Huhn … überlebt und legt Eier, aus denen eine neue Generation schlüpft«, sagte ich. »Und dann gibt es nur noch starke Hühner, richtig? Es ist eine Art Auswahlverfahren der Natur. Darwin.«
»Ja«, sagte Rosekast. »Darwin hat darüber geschrieben.«
»Wer?«, fragte Lotta.
»Ist es dann also gut, wenn man Steine auf Leute wie René wirft und sie deshalb irgendwann nicht mehr aus dem Haus gehen und sich nicht weitervermehren?«, fragte ich, und das war auch eine rhetorische Frage, denn es klang unheimlich gemein.
»Nietzsche wäre zum Beispiel der Meinung gewesen, dass ja«, sagte Rosekast.
»Wer?«, fragte Lotta.
»Hitler aber auch«, sagte Rosekast.
»Den kenn ich«, sagte Lotta. »Der war böse, oder?«
Und da hatte sogar Lotta eine rhetorische Frage gestellt.
Aber Rosekast gab ihr eine rhetorische Antwort, was mich wieder verwirrte. »Hitler hätte sicher nicht von sich gesagt, dass er böse war«, antwortete er. »Ihr findet das und ich finde das, natürlich, aber er ist nicht morgens aufgewacht und hat gesagt: Ab heute bin ich böse. Er dachte, er würde das Richtige tun.«
»Also sind böse Leute einfach nur dumm?«, fragte ich.
»Und Hühner … sind auch dumm?«, fragte Lotta.
»Im weiteren Sinne«, sagte Rosekast und schmunzelte. »Die Frage ist, ob daraus folgt, dass Hitler ein Huhn war.«
»Das würde erklären, dass er als Landschaftsmaler so wenig Erfolg hatte«, sagte ich.
Wir blickten lange nur so aufs Wasser, das zwischen den Eichenstämmen lag, und schließlich fragte ich: »Was wollen Sie eigentlich sagen? Dass das Böse eine Frage des Standpunkts ist?«
»Ich will überhaupt nichts sagen«, sagte Rosekast. »Meine Aufgabe besteht darin, die richtigen Fragen zu stellen. Wenn das Böse eine Frage des Standpunkts ist, wie kann man dann herausfinden, wer recht hat? Wer böse ist und wer nicht?«
»Das kann man gar nicht herausfinden«, sagte ich. »Man kann nur von sich ausgehen. Und deshalb baue ich mein Paradies so, wie ich es gut finde, und die Leute, die ich böse finde, können sich von mir aus ändern oder nicht, aber wenn sie sich nicht ändern, müssen sie sich ihr eigenes Paradies schaffen. Dann haben sie in meinem nichts zu suchen. Logischerweise sind sie dann verschwunden, sobald die Murmel in die richtige Richtung rollt und das Paradies sich selbst fertigbaut. Sie
Weitere Kostenlose Bücher