Paradies für alle: Roman (German Edition)
existieren in einer Parallelwelt weiter, aber dort muss ich nicht sein, und also ist alles in Ordnung.«
»Und kann ich dann denen, die ich böse finde, einfach eine reinhauen?«, fragte Lotta. »Wenn gut und böse Ansichts … Ansichtskarte …«
»Ansichtssache?«
»Ja. Wenn gut und böse das sind?«
»Ist es denn deiner Ansicht nach gut, jemandem eine reinzuhauen?«
»Hm, nee, stimmt«, sagte Lotta enttäuscht. »Dann müssen wir Davids Paradies doch ohne Gewalt bauen. Und Tielows Hund mit irgendeinem Trick klauen.«
»Was hattest du denn vor?«, fragte Rosekast. »Dachtest du, ihr könntet sein Haus in die Luft jagen?«
»David kann alles«, sagte Lotta – so voller Zuversicht, dass ich irgendwie ganz traurig wurde.
An diesem Nachmittag machten wir einen Plan, wie wir Tielows Hund gewaltlos entführen konnten. Lotta fand zwar, es wäre schöner, Tielow doch noch eine reinzuhauen, aber sie sah ein, dass das nicht die richtige Lösung war, vor allem, weil Tielow ganz bestimmt stärker ist als sie.
Den Plan schmiedeten wir in Herrn Rosekasts Garten, wo wir eine ganze Aldi-Tüte voller Gemüseableger pflanzten.
Rosekast saß auf seiner Bank und sah uns zu.
»Die Pflanzen sind von Frau Hemke«, erklärte ich ihm. »Sie hat gesagt, ihr Garten muss irgendwo weiterwachsen, wenn sie ins Seniorenheim Friedensstift muss.«
»Dann sind die Pflanzen bei mir herzlich willkommen«, sagte Herr Rosekast. »Was ist das mickerige Hellgrüne?«
»Das werden Bohnen«, antwortete Lotta, und Herr Rosekast war sehr erstaunt, was alles aus was wurde.
»Alles auf der Welt ist ständig dabei, etwas anderes zu werden«, sagte ich. »Wird auch mal etwas Böses zu etwas Gutem?«
»Geht es denn umgekehrt?«
»Dass etwas Gutes zu etwas Bösem wird?«
»Ja«, sagte Lotta. »Zum Beispiel … man will etwas Gutes, aber es kommt etwas Böses dabei heraus. Man pflückt zum Beispiel Blumen und will sie in eine Vase stellen, und dann fällt einem die Vase runter und zerbricht. Und der, für den die Blumen waren, ist traurig. Das war gestern. Mama hat rumgeschrien, weil es unsere einzige Porzellanvase war, und dass ich ihren Geburtstag doch einfach vergessen soll, weil wir sowieso kein Geld für Geschenke haben.«
»Andersherum geht das auch«, sagte ich. »Die Vase kann man kleben.«
»Nee, geht nicht«, sagte Lotta. »Zu viele Einzelteile.«
»Daraus folgt«, sagte ich nachdenklich, »dass man etwas Böses nur in etwas Gutes verwandeln kann, wenn es nicht in zu vielen Einzelteilen vorliegt.«
»Und wie ist es mit eurer Frau Hemke?«, sagte Rosekast. »Und ihrem Herrn Sohn? Liegt er in zu vielen Einzelteilen vor oder kann er sich verwandeln?«
»Ich glaube, er ist ein Fall von zu vielen Einzelteilen«, sagte ich. »Seine Gedanken drehen sich um lauter einzelne Euros. Aber wir haben einen Plan. Zur Umverteilung dieser Euros. Wenn wir genug davon haben, um den Pflegedienst und das Essen und die Haushaltshilfe zu bezahlen … dann kann ihr Sohn gar nichts mehr sagen. Aber zuerst entführen wir den Hund.«
»Was verteilt ihr dazu um?«, fragte Herr Rosekast.
»Tabletten«, sagte ich.
Herr Rosekast kratzte sich am Kinn. »Verwechselst du das jetzt nicht mit dem kranken Herrn Dings – Werter?«
»Wenter«, sagte ich. »Nein. Herr Wenter braucht Hustentabletten. Tielows Hund braucht Schlaftabletten.«
Das fand Rosekast irgendwie beunruhigend, aber ich entunruhigte ihn, indem ich eine Liste für ihn machte, damit er verstehen konnte, wie die Entführung vonstattengehen würde:
Stecken der Tabletten in Leberwurst/ein Stück Torte
Abholen von Frau Hemke
Überreichen der Torte an Herrn Tielow durch Frau Hemke, die sagt, sie hätte zum Geburtstag zu viel davon bekommen (von der Torte)
Zurückbringen von Frau Hemke
Einschlafen von Herrn Tielow
Verfüttern der Leberwurst an den Hund
Einschlafen des Hundes
Wegtragen des Hundes
»Das ist eine sehr schöne Liste«, sagte Rosekast und steckte sie sorgfältig ein wie ein Erinnerungsstück. Aber ich dachte, dass er ja kein Erinnerungsstück brauchte, weil ich ja nicht plötzlich verschwinden würde oder so.
Leider scheiterten wir an Punkt 2 der Liste. Frau Hemke lag im Bett und wollte nicht aufstehen. Sie sagte, es hätte keinen Sinn, aufzustehen, weil ihr Sohn angerufen hätte, und er hätte gesagt, er würde sie am nächsten Tag abholen, damit sie das Seniorenheim Friedensstift besichtigen könnte, sie würde schon sehen, es wäre sehr schön. Deshalb hatte Frau Hemke beschlossen, krank zu sein. Vielleicht,
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