Paradies für alle: Roman (German Edition)
Deshalb muss man sich jetzt grün anziehen, wenn man zu ihm ins Zimmer möchte.«
»Hilft grün?«, fragte Lotta.
Wir saßen in meinem Atelier und aßen Kekse und tranken Saft. Ich war morgens zurückgekommen aus der Klinik, nach einem langen Gespräch mit Samstag, einem Gespräch über multiresistente Keime, von dem ich nur verstanden hatte, dass es prinzipiell möglich war, sie zu besiegen, man sie aber auf gar keinen Fall an andere Patienten weitertragen durfte, daher die grüne Einmalkleidung.
Lotta hatte vor der Haustür gesessen, als ich nach Hause gekommen war, und endlich, endlich war es mir gelungen, »ja« zu ihr zu sagen. Ja, komm herein. Beinahe hatte ich es laut gerufen. Komm herein und lass mich bloß nicht allein.
Nun saßen wir also im Atelier. Ich malte an Davids Triptychon weiter, weil es mir wichtig erschien, und Lotta sah zu. Die Kekse und der Saft standen zwischen uns.
»Habt ihr wirklich Jarsen erpresst?«, fragte ich schließlich. Ich hatte schon eine halbe Stunde damit verbracht, nicht zu fragen, weil ich Angst vor der Antwort hatte. »Habt ihr Fotos gemacht?«
»Nee«, sagte Lotta, und ich atmete auf.
»Ich jedenfalls nicht«, sagte Lotta. »Was David alles gemacht hat, weiß ich nicht. Ich war ja nurn Teil von seinem Projekt.«
»Was war denn mit deinem Knöchel? Nachdem du bei Jarsen aus dem Fenster gesprungen bist?«
»Oh, David hat mich getragen«, sagte Lotta und wurde ein bisschen rot und sah für Momente sehr glücklich aus. Ein wenig erinnerte sie mich an die alte Frau Hemke, die besitzergreifend ihre Hand auf die Postkarten von David gelegt hatte. Eine Menge Leute schienen Ansprüche auf meinen Sohn zu haben. So ziemlich alle Leute im Dorf außer mir.
»Der Knöchel ist jetzt wieder heil«, sagte Lotta. »Aber als David noch mal bei Jarsen war, war er noch kaputt, ich mein der Knöchel, da bin ich nicht mit.«
»Und Livia? Und Jarsen? Sind sie immer noch … treffen sie sich immer noch, um zu …«
»Livia will ja weg«, sagte Lotta. »Hamburg, glaub ich. Sie sagt, sie muss endlich anfangen, was aus ihrem Leben zu machen. Keine Ahnung, wie sie das meint.«
»Willst du auch mal weg?«, fragte ich und malte dem Monstergott auf meinem Triptychon Klauen und Zähne. »Später?«
»Quatsch«, sagte Lotta. »Ich bleib hier. Bei David. Das ist doch klar.«
Ich seufzte und malte die Gestalten auf den Seiten des Monstergottes blau.
»Aber du bist du«, sagte ich. »Du kannst nicht dein ganzes Leben lang nur David hinterherlaufen.«
Lovis, dachte ich, du redest mit einem achtjährigen Mädchen! Es ist nicht so, dass sie David nächste Woche heiraten wird.
Aber das hätte Lotta vermutlich getan, dachte ich weiter. Wenn es irgendwie gegangen wäre.
Ich drehte mich zu ihr um, sie sah an mir vorbei auf das Bild, ihre blauen Augen dunkel vor Konzentration. Sie war die erste Person, dachte ich, die mir je zugesehen hat, während ich malte. Die erste, die ich je gelassen hatte. Sie saß schon mit einem Bein auf der unsichtbaren Mauer.
»Lovis?«
»Ja?«
»Warum haben wir blaue Gesichter?«
»Wir?«
»Sind wir das nicht? Du und ich? Das Große und das Kleine da, auf dem Bild?«
Ich wollte sie fragen, wie sie darauf kam, da klingelte es, und Lotta sah aus dem Fenster und sagte: »Dein Mann steht vor der Tür. Warum klingelt er?«
»Vielleicht hat er seinen Schlüssel vergessen«, sagte ich. Verdammt. »Ich glaube, du musst für dieses Mal von der Mauer klettern und nach Hause gehen. Nimm die Kekspackung ruhig mit.«
»Mauer?«, fragte Lotta verwirrt.
Ich sah Claas nicht, nicht einmal, als er direkt vor mir stand. Ich sah nur die Ruhe und Gelassenheit in seinen Bewegungen, ich sah einen Umriss aus Worten: DavidhatteeinenUnfallAufderA20EinenUnfallWirfahrensofortlos.
»Der Hund wollte rein«, sagte Claas. »Davids Hund.«
»Er kann durch die Verandatür kommen. Die ist offen. Schlechte Ausrede.«
Claas seufzte – einenUnfallAufderA20 –, während der Hund an ihm und mir vorbei ins Haus trottete. »Lovis, bitte – können wir miteinander reden?« DavidstirbtDavidstirbtDavidhatteeinenUnfallDavidstirbt.
»Wo hast du geschlafen?«
»In der Klinik.« DavidstirbtWennwirihnnichtintubierenmachenwiresihmleichter.
»Sieh mal einer an, ich auch. Ich habe bei meinem Lebensinhalt geschlafen und du bei deinem, ich bei David und du an deinem Arbeitsplatz. Das sagt doch eigentlich schon alles.«
Ich hatte das nicht geplant. Ich hatte nicht geplant, so böse zu sein. Ich hatte
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