Paradies in Gefahr: Mittsommergeheimnis (German Edition)
sie – Hanna.
Es überraschte ihn selbst, und eine leise innere Stimme warnte ihn, dass er besser vorsichtig sein sollte. Wie es enden konnte, wenn man sich bei einer Frau emotional zu sehr engagierte, hatte er schließlich am Beispiel seines Bruders gesehen. Und er gedachte nicht, denselben Fehler zu begehen wie Bengt.
Trotzdem konnte er nicht leugnen, dass er sich auf den heutigen Abend mit Hanna freute. Und zwar weit mehr, als es in seiner Situation angemessen erschien.
Am frühen Abend war Hanna nervös wie schon lange nicht mehr.
Ihre Armbanduhr zeigte bereits kurz nach halb sechs an. In weniger als zweieinhalb Stunden war sie mit ihrer neuen Bekanntschaft im Ort verabredet, und sie musste vorher unbedingt noch duschen und sich umziehen
Nach ihrer Begegnung mit Mikael hatte sie versucht, ein wenig zu arbeiten. Bis sie zum Anfang des nächsten Schuljahres wieder als Lehrerin arbeiten konnte, hatte sie noch einiges aufzuholen. Doch sosehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr einfach nicht, sich auf die Notizen ihrer Kollegin Marie zu konzentrieren.
Und dieses Mal waren es nicht Finja und Linnea, die die Schuld daran trugen.
Nein, die Verantwortung hierfür lag einzig und allein bei dem attraktiven Fremden – Mikael. Dabei war er ihr noch nicht einmal sonderlich sympathisch.
Jedenfalls hatte Hanna es schließlich aufgegeben und war noch einmal zum
Trollfjällen
gegangen. Hierher kam sie immer, wenn sie in Ruhe nachdenken wollte. Die Stille und der Frieden, die dieser Ort ausstrahlte, war mit nichts anderem zu vergleichen. Aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen gelang es ihr hier immer, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, solange sie den geheimnisvollen schwarzen Fels nicht direkt anblickte.
Immer – nur nicht heute.
Vielleicht war es besser, wenn sie nicht mit Mikael essen ging. Dieser Mann war ganz offensichtlich nicht gut für sie. Er brachte sie aus dem Konzept und lenkte sie ab. Dabei gab es im Moment wirklich ganz andere Dinge, mit denen sie sich beschäftigen sollte.
Zum Beispiel mit dem Schutz dieses wunderbaren Ortes.
Seufzend strich sie mit der Hand über den rauen Stamm einer Eiche, die im Schatten des
Trollfjällens
wuchs. Für einen Augenblick glaubte sie unter ihren Fingern so etwas wie einen Herzschlag zu spüren. Den Puls der Natur. Die Energie, von der alles – der Boden, die Pflanzen und die Tiere – erfüllt war. Sie schloss die Lider, und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie es praktisch vor sich zu sehen.
Doch dann tauchte plötzlich
ihr
Gesicht vor ihrem inneren Auge auf.
Audrey …
Hanna zog die Hand so hastig vom Stamm der Eiche weg, als habe sie sich daran verbrannt. Ihr Herz schien sich in einen Klumpen Eis verwandelt zu haben, sie schnappte nach Luft und blinzelte heftig.
“Hej
, Hanna!”
Zu Tode erschrocken wirbelte Hanna herum. Sie wusste selbst nicht, wen sie zu sehen erwartet hatte – Audrey? –, doch sie war mehr als erleichtert, dass es sich nur um Malin handelte. Die etwas merkwürdige junge Frau, die wie immer verwaschene Jeans, ein Karohemd und Gummistiefel trug, fixierte mit den Augen einen imaginären Punkt irgendwo direkt oberhalb von Hannas Schulter.
Hanna atmete tief durch. Langsam beruhigte sich ihr jagender Puls wieder, und sie zwang sich zu einem Lächeln. “
Hej
, Malin. Wie geht’s dir?”
Die meisten Menschen fanden eine Unterhaltung mit Malin aufgrund ihrer zahlreichen Ticks als äußerst unangenehm. Hanna jedoch störte sich schon lange nicht mehr daran. Für sie gehörten Malin und der
Trollfjällen
untrennbar zusammen, und es fiel ihr nicht schwer, die etwas ungewöhnlichen Eigenarten der jungen Frau zu akzeptieren. Nur manchmal, wenn Malin in dieser sonderbaren Stimmung war … Ja, dann war sie sogar Hanna beinahe unheimlich. Sie bekam dann diesen abwesenden Blick, so als würde jemand anderes durch sie sprechen.
Jemand, der viel mehr über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft wusste als jeder andere Mensch.
Genau wie jetzt gerade, in diesem Augenblick.
“Große Veränderungen bahnen sich an”, sagte Malin leise. Ihre Stimme war jetzt ein seltsamer Singsang und klang überhaupt nicht so wie sonst. Sie neigte den Kopf zur Seite, so als würde sie intensiv über etwas nachdenken. “Ich höre es am Wispern des Windes und am Murmeln des Flusses. Nichts bleibt mehr so, wie es jetzt ist. Spürst du es nicht auch?”
Hanna merkte, wie ihr ein eisiger Schauer den Rücken hinunterrieselte, doch sie lächelte.
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