Paradies
Tabletten in der Tasse und schloss die Augen. Der Druck, der auf ihrer Brust lastete, wurde stärker.
Sie presste Luft in die Lungen, schnappte nach Luft, stöhnte, die Tränen liefen ihr auf den Hals herunter.
Sie dürfen die Tabletten nicht zusammen mit Alkohol einnehmen.
Sie stellte die Tasse auf der Spüle ab, ging in den Flur, zog Schuhe an, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, hielt sich auf dem Weg nach unten krampfhaft am Treppengeländer fest und folgte den Häuserwänden auf der Agnegatan und Garvargatan. Das war der Schleichweg zum staatlichen Alkoholgeschäft am Kungsholmstorg. Abgesehen von ein paar älteren Frauen und einer Gruppe von Pennern, war das Geschäft praktisch leer. Sie wandte den anderen Menschen den Rücken zu, fand auf einer Bank eine gelesene Ausgabe des
Abendblatts
und starrte beharrlich, aber ohne etwas wahrzunehmen, auf die schwarzen Überschriften. Zitternd und stotternd bestellte sie, als sie an der Reihe war, der Mann an der Kasse beäugte sie misstrauisch. Sie kaufte eine große Flasche Wodka, ging den gleichen Weg wieder zurück, schwankte über den schmalen Bürgersteig. Die Plastiktüte schlenkerte, und die Zeitung trug sie verkrampft unter den Arm geklemmt. Schließlich war sie, durchgefroren und erschöpft, wieder zu Hause. In der Küche setzte sie die Tasse mit den Tabletten, die Zeitung und die Schnapsflasche neben dem Kerzenständer auf dem Küchentisch ab, ließ sich auf einen Stuhl fallen und weinte.
Jetzt wollte sie nicht mehr, jetzt konnte sie nicht mehr. Die Opfer vom
Paradies
berichten auf den Seiten 8, 9, 10 und 11.
Sie legte den Kopf auf ihre Arme, schloss die Augen und lauschte ihren Atemzügen. Für Aida war alles vorbei, sie brauchte nicht mehr zu kämpfen.
Annika richtete sich auf, streckte sich nach der Wodkaflasche und brach die Versiegelung um den Korken.
Es brachte nichts, die Sache noch länger aufzuschieben. Sie konnte es genauso gut hinter sich bringen.
Sie hielt die Flasche in der einen, die Tabletten in der anderen Hand und schloss die Augen. Das Glas war kälter als das Porzellan.
Das war es dann wohl, dachte sie.
Sie öffnete die Augen.
Wir kamen vom Regen in die Traufe. Mia Eriksson, eine der Frauen, die von der Stiftung
Paradies
ausgenutzt wurden, berichtet dem
Abendblatt
exklusiv vom Terror der Stiftung. Die Enthüllungen werden heute fortgesetzt.
Annika stellte Tasse und Flasche ab, zögerte einen Moment und ging dann mit den Tabletten, der Schnapsflasche und der Zeitung ins Wohnzimmer, wo sie sich auf die Couch setzte.
Auf Seite acht stand ihr Artikel über Mia, auf Seite neun folgten Berits Interviews mit den Betroffenen aus Nacka und Österåker.
Auf den Seiten zehn und elf wurden Aussagen weiterer Zeugen abgedruckt, die sich offenbar im Laufe des gestrigen Tages gemeldet hatten.
Sie ließ die Zeitung sinken und lehnte sich zurück. Sie trug die Schuld an Aidas Tod, Rebecka Björkstig hatte geredet, Aidas Versteck verraten, es war ihr Fehler gewesen, dass sich Rebecka Björkstig diese Möglichkeit geboten hatte. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht. Die Bilder von der Beerdigung kehrten zurück, das Licht unter der Decke.
Porutschnick Miischitj, Porutschnick Miischitj, Porutschnick Miischitj.
Das Telefon klingelte wieder, aber sie ließ es klingeln und wartete, bis es verstummte. Die anschließende Stille war bedrückend. Sie richtete sich auf der Couch auf und schraubte den Deckel von der Schnapsflasche. Ihr drehte sich der Magen um, das Kind, sie schwenkte die Tabletten in der Tasse, das Selbstmitleid meldete sich.
Ist das alles furchtbar, dachte sie. MUSS es denn wirklich allen so dreckig gehen? Die arme Aida, die arme Mia. Sie nahm die Zeitung, strich die Seite glatt und las ihre eigenen Worte.
Der Vater von Mias erstem Kind hatte sie misshandelt, bedroht, verfolgt und vergewaltigt. Als Mia heiratete und ihr zweites Kind bekam, wurde alles nur noch schlimmer.
Ihr Exmann schlug alle Fensterscheiben im Haus der Familie ein, überfiel Mias neuen Ehemann im Dunkeln, versuchte, Mia und die Kinder zu überfahren, versuchte, seiner Tochter die Kehle durchzuschneiden, sodass das Mädchen stumm wurde.
Die Behörden waren hilflos. Sie taten, was sie konnten, aber das war nicht viel. Sie setzten Gitter vor die Fenster, stellten Mia eine Begleitperson zur Verfügung, sobald sie das Haus verließ. Schließlich kam das Sozialamt zu der Auffassung, dass die Familie untertauchen müsse.
Zwei Jahre lang reiste die Familie umher
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