Paradies
Marktanteile. Das Erreichen der Zielgruppe. Nur die schwachen Öffentlich-Rechtlichen reden noch über Einschaltquoten.«
»Warum schreiben wir dann andauernd über sie?«, fragte Annika und öffnete die Gummibärchentüte.
»Woher soll ich das denn wissen«, antwortete Anne. »Ihr wisst es wahrscheinlich nicht besser. Und aus
Die Frauencouch
wird nie etwas Ordentliches werden, wenn wir nicht ein paar richtige Journalisten in unsere Redaktion bekommen.«
»So schlimm? Sollte nicht jemand Neues anfangen?«, fragte Annika und schob sich eine Hand voll Gummibärchen in den Mund.
Anne Snapphane stöhnte laut auf.
»Michelle Carlsson. Kann nichts, weiß nichts, ist aber unglaublich kamerageil.«
Annika lachte.
»Läuft es beim Fernsehen nicht immer darauf hinaus?«
»Ja, natürlich«, erwiderte Anne, »mach dich nur lustig. Redakteure bei Abendzeitungen sollten keine Steine werfen. Sie sitzen selber im Glashaus.«
Anne schaltete ihren Fernsehapparat an und landete mitten in der Erkennungsmelodie der öffentlich-rechtlichen Nachrichten.
»Voilà, Arroganz extra«, sagte sie.
»Sei still«, meinte Annika, »ich will hören, ob sie was über die Morde im Freihafen bringen.«
Die Fernsehnachrichten begannen mit den Nachwirkungen des Orkans in Südschweden. Die Lokalredaktion in Malmö war unterwegs gewesen und hatte beschädigte Bushaltestellen, abgedeckte Scheunen und zu Bruch gegangene Schaufenster gefilmt.
Ein alter Mann mit einer Mütze des Bauernverbands auf dem Kopf kratzte sich bekümmert im Nacken, während er sein umgewehtes Gewächshaus betrachtete, und sagte etwas im schonischen Dialekt, für das man schwedische Untertitel benötigt hätte. Dann landete man im Firmensitz eines Energieversorgers, wo ein Firmenvertreter mit tiefen Ringen unter den Augen versicherte, dass man alles tue, was man könne, damit alle Kunden im Laufe des Abends wieder Strom hätten. Soundso viele Haushalte waren in Schonen, Blekinge und Småland immer noch ohne Strom.
Annika seufzte innerlich. Wie unglaublich langweilig.
Dann folgte eine Schätzung über den materiellen Schaden, der weit in die Millionen ging. In Dänemark war eine Frau ums Leben gekommen, als ihr Auto von einem umstürzenden Baum getroffen wurde.
»Gibt es Wald in Dänemark?«, fragte Anne Snapphane.
Annika sah ihre Freundin aus dem Norden Schwedens müde an.
»Bist du denn wirklich nie von eurer kahlen Hochebene runtergekommen?«, fragte sie.
Anschließend folgten die obligatorischen Redeschwälle zu Archivbildern aus Tschetschenien und dem Kosovo. Russische Truppen hatten dies und die UCK hatte das getan. Die Kamera schwenkte über ausgebombte Gebäude und schmutzige Flüchtlinge auf den Ladeflächen von Lastwagen.
»Dein Mord ist denen egal«, sagte Anne Snapphane.
»Das ist nicht mein Mord«, erwiderte Annika. »Er gehört Sjölander.«
Nach einer Kurzmeldung über etwas, das der Ministerpräsident gesagt hatte, folgte eine Live-Reportage zu den Morden im Freihafen. Die Nachrichtensprecherin redete aus dem Off zu Bildern des Areals zwischen den Silos. Das Fernsehen brachte ungefähr die gleichen Informationen wie das
Abendblatt
in seiner letzten Ausgabe, die vor zwölf Stunden in Druck gegangen war.
»Dass diese Fernsehreporter aber auch nie etwas selber recherchieren können«, sagte Annika. »Sie hatten den ganzen Tag zur Verfügung und haben nicht das Geringste herausgefunden.«
»So etwas ist denen nicht wichtig«, meinte Anne.
»Die Fernsehleute leben noch in den Fünfzigern«, sagte Annika.
»Es reicht ihnen, wenn die Bilder sich bewegen und man etwas hört. Die journalistische Arbeit ist ihnen entweder egal, oder sie beherrschen sie erst gar nicht. Fernsehreporter sind Versager.«
»Amen«, sagte Anne. »Das Geschenk Gottes an den Journalismus hat gesprochen. Ja, aber sag mal, verdammt noch mal, hast du etwa alle Gummibärchen aufgefuttert? Ein paar hättest du mir wenigstens übrig lassen können.«
»Sorry«, sagte Annika beschämt. »Ich muss los.«
Sie verließ Anne unter ihrem Dachgiebel und ging die Stora Nygatan Richtung Norrmalm entlang. Die Luft war jetzt nicht mehr schneidend, nur noch frisch und klar. Etwas in ihr erwachte zum Leben, und sie bekam Lust zu singen. Sie stand da, summte und wartete, dass die Ampel an der Kreuzung beim Adelshaus und dem Höchsten Gericht grün wurde, als ein kleiner Mann links neben ihr auftauchte.
»Ich bin den ganzen Weg von Huddinge aus mit dem Fahrrad gefahren«, sagte der Alte, und
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