Paradies
herhole.«
Anne legte den Kopf schräg.
»Drei Etagen ohne Fahrstuhl, ohne Toilette oder warmes Wasser?«
Annika sprach aus, was ihr den ganzen Tag über im Magen gelegen hatte.
»Ich werde wohl in eine Wohnung in Katrineholm ziehen müssen.
Das ist halb so wild. Denk doch mal nach, was mach ich denn hier schon? Ich schreibe die Texte anderer Reporter um, in einer Scheißzeitung mit schlechtem Ruf. Ist das vielleicht wichtiger, als sich um den einzigen Menschen zu kümmern, den man liebt?«
Anne antwortete nicht und ließ Annika zu Ende schluchzen. Sie ging in die Küche und holte Gläser und Besteck. Annika schaltete den Fernseher ein. Dann sahen sie die Nachrichten und aßen das Hähnchen direkt aus der Verpackung. Die Börsenkurse waren wieder gestiegen. Neue Unruhen in Mitrovica. Die Sozialdemokraten kurz vor dem Parteitag.
»Willst du denn wirklich aufhören?«, wollte Anne Snapphane wissen, nachdem sie beide, viel zu satt, um sich noch von der Stelle zu rühren, gegen die Rückenlehne gesunken waren.
Annika strich sich mit der Hand über die Stirn und seufzte schwer.
»Nur, wenn es nicht anders geht. Ich will nicht aufhören zu arbeiten, aber was soll man denn tun, wenn es keine andere Lösung gibt?«
»Den Märtyrer zu spielen ist aber auch keine Lösung«, meinte Anne.
»Du musst auch an dich denken. Man darf sein Leben nie von einem anderen abhängig machen. Möchtest du ein Glas Wein?«
»Die Ärztin meinte zu mir, ich solle Alkohol trinken«, erwiderte Annika. »Am liebsten hätte ich ein Glas Weißwein.«
»Was hast du denn gedacht? Von Rotwein bekomme ich Ausschlag. Wieso ist es hier eigentlich so kalt, steht das Fenster etwa offen?«
Anne stand auf und ging in die Küche.
»Es ist bei dem Sturm kaputtgegangen«, rief Annika ihr nach.
Anne kehrte mit dem Wein zurück, und dann deckten sie sich jede mit einer Decke zu und tranken Chardonnay aus dem Tetrapak.
»Und sonst?«, fragte Anne.
Annika schloss die Augen und legte den Kopf an die Rückenlehne.
»Ich habe mich mit meiner Mutter gestritten. Sie kann mich nicht leiden. Das habe ich zwar schon immer gewusst, aber es war doch verdammt traurig, es aus ihrem Mund zu hören.«
Der Schmerz stieg in ihrem Körper auf. Die fehlende Liebe löste einen ganz eigenen Schmerz aus.
Anne Snapphane machte ein skeptisches Gesicht.
»Ich kenne niemanden, der sich mit seiner Mutter versteht.«
Annika schüttelte den Kopf, entdeckte, dass sie lächeln konnte, und blickte in ihr Weinglas.
»Ich glaube wirklich, dass sie mich nicht mag. Ehrlich gesagt, glaub ich auch nicht, dass ich sie mag. Muss man das?«
Anne dachte nach.
»Im Grunde nicht. Es kommt ganz darauf an, wie die Mutter sich benimmt. Wenn sie es verdient hat, kann man sie lieben, wenn man will, aber es darf niemals zu einem Zwang werden. Dagegen«, fuhr Anne fort und hob den Zeigefinger, »dagegen hat man immer die Pflicht, seine Kinder zu lieben. Man hat eine Verantwortung für sie, der man sich niemals entziehen kann.«
»Sie findet, dass ich keine Liebe verdiene«, sagte Annika.
Anne Snapphane zuckte mit den Schultern.
»Das stimmt nicht und zeigt nur, dass sie ein Idiot ist. Jetzt will ich etwas Schönes hören. Ist denn gar nichts Amüsantes passiert?«
Eine Last fiel von ihren Schultern ab. Annika atmete auf und lächelte.
»Ich bin da einer interessanten Sache auf der Spur. Eine verdammt dubiose Stiftung, die verfolgte Menschen aus allen Registern löscht.«
Anne Snapphane trank einen Schluck Wein, hob die Augenbrauen, und Annika sprach weiter.
»Ich habe heute einen Typen von einer Gemeindeverwaltung getroffen, die Geschäfte mit der Stiftung macht. Wenn ich lieb bin, kann ich da vielleicht noch mehr erfahren.«
»War er süß?«
Anne Snapphane kippte den Wein hinunter und schenkte sich noch ein Glas ein.
»Ein richtiger Holzkopf«, antwortete Annika, »quatschte so ein Beamtenkauderwelsch. Ich habe alles versucht, damit er sich etwas entspannt, ein bisschen um den heißen Brei geredet und so, hat aber nicht viel gebracht. Der hatte vorher bestimmt noch nie mit einem Journalisten zu tun, so verdammt gestresst wie…«
»Ach was«, unterbrach Anne sie und drehte ihr Glas. »Der hat sich bestimmt an deinen Titten aufgegeilt.«
Annika starrte ihre Freundin an.
»Du hast sie doch nicht alle«, meinte sie. »Ein Sozialkämmerer?«
»Der hat doch auch einen Penis, oder etwa nicht? Und was machte er im Freihafen?«
Annika stöhnte, stellte ihr Glas ab und stand
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