Paradiessucher
ausländerfeindliche Person. Die Chefin vom Alpgarten war zwar unfreundlich und herablassend, aber diese ist dagegen ein Faschodrachen. Das wurde mir erzählt. Sie nimmt unsere Unterlagen entgegen, spricht extrem laut und gestikuliert pausenlos mit den Händen. Warum gerade diese Frau, deren Existenz von den Ausländern abhängt, Ausländer verachtet, verstehe ich nicht. Ihre Villa, gleich nebenan, ist kunstvoll in den Fels gebaut. War sicher nicht billig.
Sie marschiert vor dem Sporthotel, wo sich früher ein Parkplatz für die Gäste befand, jetzt aber nur Ladas, Škodas und Moskwitschs stehen, auf und ab und schimpft. Ich will nicht wissen, was sie sagt, es ist bestimmt voller Hass. Sie schimpft ständig. Die Asylbewerber machen einen Bogen um sie, niemand will sie treffen, denn sie hat immer und an jedem etwas auszusetzen.
Aus den vertrauenerweckenden Händen der Polizei werden wir in die Hände der Chefin ausgeliefert. Es gibt klare Regeln hier. Am Monatsersten gibt es die obligatorischen 60 DM pro Nase. Das Frühstück ist zwischen acht und neun. Zwei Brötchen und ein Schälchen Butter und Marmelade müssen reichen. Jeder darf auf das Frühstück verzichten, wenn ihm danach ist. Mit dem Mittagessen sieht es anders aus. Punkt zwölf Uhr ist Mittagstischausgabe und gleichzeitig Meldung. Bis wir drankommen, stehen wir ziemlich lange in der Schlange. Dann geben wir eine Anwesenheitsbestätigung mit unserer Unterschrift ab und werden mit einem Spaghettiteller belohnt. Sobald diese Unterschrift dreimal fehlt, kommen Polizeibeamte zu Besuch, um das schwarze Schaf zu suchen und seine Abwesenheit zu klären. Wir haben uns in unmittelbarer Nähe aufzuhalten, ein Radius von großzügigen 30 Kilometer um das Hotel ist erlaubt. Es hält sich kaum jemand dran. Jeden Tag parkt also ein Polizeiwagen vor dem Hotel und klärt auf.
Von 17 bis 18 Uhr wird das Abendessen serviert, eine oder zwei Scheiben Brot mit Wurst, Käse, Joghurt oder Ähnlichem. Das Essen verzehren wir auf unseren Zimmern, es gibt keine Essräume. Manche haben das Pech, im Zimmer keinen Tisch zu haben, da das Zimmer zu klein ist. Also versuchen sie mit der Tomatensoße im Bett zu hantieren, falls sie nicht gerade oben im Doppelbett schlafen. Dann wird das Bett des Nachbarn besetzt, ob der will oder nicht.
In den ersten Wochen leben wir in einem winzigen Zimmer im Erdgeschoss, gemeinsam mit vier anderen Frauen. Eine wilde Mischung aus zwei Jugoslawinnen, einer Polin und einer Tschechin. Sardinen in der Büchse könnte man uns nennen.
Die junge Jugoslawin Jasna ist im vierten Monat schwanger. Der Erzeuger des Kindes ist mit frisch ergattertem Asyl irgendwo in Deutschland verschwunden. Er hat es früher als sie geschafft und schert sich einen feuchten Scheißdreck um die Frau und sein Kind. Möglicherweise weiß er gar nichts davon. Möglicherweise weiß sie gar nicht, welcher der jugoslawischen Adonisse es war. Sie scheint recht unintelligent zu sein, redet nur dummes Zeug in einer Kauderwelschsprache, hat unglaublich schlechte Haut, die Zähne erwähne ich lieber nicht.
Und sie kotzt andauernd. Ich muss sie als dumm bezeichnen, schon allein weil sie trotz der Schwangerschaft raucht und trinkt. Frust hin oder her, aber eine Verantwortung dem Kind gegenüber hat sie nun mal! Sie regt mich noch mehr auf als die ältere Jugoslawin Maria.
Maria ist mit der Schwangeren befreundet. Sie nennt sie »meine Familie«. Sie sind sicher nicht verwandt, Maria ist so was wie eine Patriotin, sie nennt alle Jugoslawen so. Maria kommt sich sehr klug vor, trägt viele Haarfarben und stiehlt, was ihr unter die Finger kommt. Sie hat nicht mal was dagegen, sich selbst als Diebin zu bezeichnen. Sie ist stolz auf ihre flinken Finger und stiftet andere Frauen dazu an, bei Karstadt »Wache« zu halten.
Die Polin, eine stumme, introvertierte Frau um die 30, scheint gar nicht vorhanden zu sein. Ein durchsichtiges, nichtssagendes Wesen. Niemand erfährt etwas über sie, niemand spricht mit ihr. Wenn sie plötzlich tot umfiele, würde es kein Mensch merken. Warum sie ihr Land verlassen hat und vor allem, wie sie es angestellt hat, ist uns ein Rätsel. Maria macht sich gerne über sie lustig, sie sagt, sie wäre über die Grenze geschlichen, ohne gesehen zu werden. Wie eine Krakauer Fee. »Sie brauchte kein Visum … ha, ha, ha«, und so weiter. Gegen ihren Spitznamen »Polakengeist« wehrt sie sich nicht.
Und dann ist da die Tschechin Petra. Sie zählt keine 20 Jahre, ist
Weitere Kostenlose Bücher