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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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Sachen?
    »Leni, Jarda ist so ein Idiot. Ich meine … ich denke … dass es nicht so schlimm ist, ich denke nicht, dass unsere persönlichen Unterlagen verloren gehen, sie werden in irgendeinem Lager aufbewahrt und wir werden sie eines Tages wiederbekommen. Davon bin ich fest überzeugt!«
    Desillusioniert kehren wir in die Pension zurück, holen unser Abendbrot und setzen uns zu den anderen. Es wird gerade Rambo angeschaut. Wir haben den Anfang verpasst, aber es spielt keine Rolle, wir haben keine Lust zu schauen, wir wollen nur nicht allein auf dem Zimmer hocken. Der Blonde öffnet eine überdimensionale Weißweinflasche und schenkt ein. Ich lehne ab, ich hasse Weißwein, vor allem diesen schlechten. Ich kann danach nicht schlafen, und ein dicker Kopf ist unausweichlich. Lieber springe ich hoch ins Zimmer und hole Cornflakes zum Knabbern.
    Der Slowake lacht sich kaputt, dass ich Cornflakes ohne Milch esse. Ich wiederum bin entsetzt, dass man Cornflakes mit Milch essen soll. Das finde ich unappetitlich, sage ich, die Deutschen haben ein Knall, solch eine eklige Pampe zu essen. Er meint, dass es gar kein deutsches, sondern ein amerikanisches Gericht sei. Daraufhin greife ich sofort Lydia an, sie solle mir erklären, was sie in den Staaten wolle, in einem Land, wo solche Geschmacklosigkeiten erfunden werden.
    »Ist mir doch egal, was sie dort essen«, sagt sie teilnahmslos.
    Rambo ist spannend.
    »Ja, schon klar, dir ist alles egal, was? Du bist mit allem zufrieden!«
    Lydia schaut mich verstohlen an, sie hat recht, ich bin ätzend zu ihr. Sie weiß nicht, dass ich weder böse auf sie noch auf die Cornflakes oder die Staaten bin, sondern einzig und allein auf Jarda, der unsere Schätze in der Wohnung gelassen hat. Das Arschloch.
    Am nächsten Tag erfährt meine Mutter von ihrer Freundin Connie, deren Ehemann bei der »SMB« arbeitet (das sind unsere geliebten volkstreuen tschechoslowakischen Bullen), dass alle Papiere, bis hin zum Einkaufszettel, normalerweise im Archiv landen. Sie könne aber noch nichts sagen, müsse bei ihrem Mann nachhaken, der wiederum bei einem Kumpel von ihm nachfragen müsse, weil Connies Ehemann nur ein einfacher Streifenpolizist sei und mit Emigranten nichts am Hut habe. Als wir am folgenden Tag wieder anrufen, erfahren wir, dass alle Dokumente und persönlichen Sachen gleich nach unserer Flucht verbrannt wurden. Ein anderer Polizist war sogar Zeuge davon. Ein schwarzer Müllsack mit unserem Namen wurde verbrannt.

ES GEHT ANS EINGEMACHTE
    Einen Monat sind wir jetzt hier. Draußen vor der Pension steht ein Streifenwagen und wartet auf uns. Wir erschrecken nicht, diese Vorgehensweise ist uns bekannt. Immer wieder holt ein Polizeiwagen Flüchtlinge ab. Das hört sich schlimmer an, als es ist, wenn man sagt, »Flüchtlinge holen«, so als wären wir Verbrecher. Erstens sind die Polizisten Beschützer, Freunde oder sogar Komplizen, zweitens freuen wir uns, dass etwas vorangeht, und drittens sind es hübsche Jungs. Zwei junge Frauen aus der Tschechoslowakei werden anders behandelt als ein volltätowierter Jugoslawe, dem man nicht die Hand geben möchte, weil man Angst haben muss, sie nicht zurückzubekommen. Es ist nun mal so. Mutter und ich sind Königinnen des guten Benehmens und Charmes. Königinnen der Anpassungsfähigkeit. Das Integrationsbedürfnis verhilft uns zu Glanzleistungen in dieser Disziplin. Wir wissen, wie wir mit unserem Gegenüber tanzen müssen.
    Ich verabschiede mich von Lydia gar nicht, ich weiß, dass auch sie in wenigen Tagen, genauso wie ich jetzt, in Königssee landen wird.
    Wir fahren hinter dem Streifenwagen durch einen dichten Wald. Es regnet. In diesem Sommer regnet es ständig. Ich kann mich an keinen anderen so schlechten Sommer erinnern. Eisig. Ständig bin ich durchnässt, weil ich einen Regenschirm aus ästhetischen Gründen ablehne.
    Mutter und ich schweigen während der Fahrt nach Königssee. Das große Haus, vor dem wir anhalten, sieht diesmal verlassen aus. Anders. Keine Grüppchen vor dem Eingang. Der Regen treibt alle ins Innere, vor die Bildschirme.
    Mutter wiegt 48 Kilo. Sie sieht abgemagert aus, wie ein Gerippe, obwohl sie behauptet, genauso viel zu essen wie sonst. Nein, sie isst nicht, das weiß ich. Es fällt mir jetzt besonders auf, wenn ich sie betrachte, wie sie aus dem Auto steigt. Selbst wenn sie ihre Beine geschlossen hält, kann ich zwischen ihren Schenkeln hindurchsehen, so dünn sind sie.
    Es gibt hier wieder eine Chefin. Eine ausgesprochen

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