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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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gewöhnliches Fa. Unsere Lieblingsmarke.
    »Ich rieche nichts. Ganz normal. Riecht ganz gut …«, flüstere ich unauffällig zurück.
    »Warum sind die denn so komisch, Lenko?«
    »Frag mich mal, keine Ahnung, vielleicht ist das normal hier … Aber warum haben sie uns in eine Klasse mit viel Jüngeren gesteckt, frage ich mich. Ich komme mir hier vor wie eine Rentnerin.«
    »Ich auch …« Und wir müssen ein wenig schmunzeln bei dem Gedanken, dass man sich in unserem Alter schon alt vorkommen kann.
    Wir gewöhnen uns allmählich daran. Kurz darauf verlieren die Deutschen das Interesse, der Unterricht geht weiter.
    An diesem Tag passiert nichts. Wir sitzen mucksmäuschenstill auf den hintersten Plätzen des Klassenraums, hören zu, was die Lehrer so unterrichten, oder besser gesagt, täuschen es vor. Wir verstehen nichts. Manchmal machen wir Notizen über Belanglosigkeiten, die nichts mit dem Unterricht zu tun haben, in unsere leeren Hefte. Oder wir spielen heimlich »Vier gewinnt«.
    In der Deutschstunde spricht uns der Lehrer aus dem Nichts an. Jetzt wird es peinlich, denke ich. Offensichtlich stellt uns der Lehrer vor oder so was. Mehr als unsere Namen und das Land, aus dem wir stammen, können wir ihm eh nicht bieten, so wird er die gesamte Diskussion abbrechen müssen. Genauso läuft es dann auch.
    »Da kriegst du mich nicht noch mal rein! Das garantiere ich dir, meine Liebe! Ich bin doch nicht wahnsinnig. Ich lasse mich doch nicht so erniedrigen!«
    Lydias Gesicht ist rot. Sie errötet bei jeder Gelegenheit, was sie abgrundtief hasst. An diesem Tag in Obersalzberg lehnt ihr Gesicht grundsätzlich die vornehme Blässe entschieden ab.
    Es war mir klar, dass Lydia bei dem kleinsten Misserfolg schlappmachen würde, es ist mir auch klar, dass ich jetzt einige Überredungskünste anwenden muss, um sie wieder dorthin zu bringen, wo sie schon mal war: Noch mal mit mir in den Bus zu steigen.
    So.
    Gesetz Nummer 1: Bloß nicht ihre Röte ansprechen!
    Gesetz Nummer 2: Nicht sagen, sie wäre dumm, oder ähnliche Beleidigungen.
    Gesetz Nummer 3: Nicht selber beleidigt sein!
    »Lydia, bitte – das ist doch der erste Tag. Was hast du erwartet? Dass sie dir alle um den Hals fallen? Der Anfang ist doch immer schwer. Du bist ein kluges Mädchen, das müsstest du mittlerweile kapiert haben. Ich verstehe es nicht, wie kann man so ein Angsthase sein? Die haben uns doch nicht gebissen.«
    »Ich hab keine Angst, du blöde Kuh! Ich hab nur keinen Bock, den Deppen zu spielen.«
    »Gut, ich verstehe, dass du nicht den Deppen spielen möchtest, aber was können dir die kleinen Stinker aus irgendeiner 9. Klasse anhaben? Steh drüber! Zeig Größe!«
    »Nein!«
    »Bitte.«
    »Ich hasse Deutsch!«
    Die Geduld ist am Ende. Meine Sicherung brennt durch.
    »Dann bleib, wo der Pfeffer wächst, du Analphabetin!«
    Lydia geht. Es war ein schwerer Fehler, dies zu sagen. Ich hole sie ein.
    »Lydia, warte bitte. Ich bitte dich zum letzten Mal, mit mir da hinzugehen, ich … ich, wie soll ich sagen … ich habe Angst alleine. Tu es für mich. Tu es für deine Freundin. Begleite mich einfach nur. Bitte.«
    Eine gute Strategie.
    Am zweiten Tag setzt sich ein 14-jähriges, schielendes Mädchen zu uns und fragt unermüdlich. Unsere Köpfe müssen sich nach der langen Zeit des Dummwerdens richtig anstrengen, sinnvolle, zusammenhängende Antworten zu formulieren, wir wissen gar nicht mehr, wie das geht. Eigentlich ganz angenehm. Die Seiten unseres Wörterbuchs kommen nicht zum Stillstand. In kürzester Zeit sitzen alle um uns herum und bemühen sich um unsere Aufmerksamkeit. Ist denn das überhaupt möglich? Der Mensch ist ein Affentier, Nachahmer, ein Zugehörigkeitswesen. Ich stelle fest, dass es Mädchen sind, die mit uns den ersten Kontakt aufnehmen. Frauen sind nun mal mutiger, in jeder Beziehung … Selbst in diesem Unalter.
    Ich möchte mich bei dem schielenden Mädchen bedanken, das es gewagt hat, uns anzusprechen, ohne sie wäre immer noch nichts passiert, und Lydia wäre bestimmt nicht noch einmal mitgekommen. Ich schaue sie an und lächle. Das Mädchen scheint eine sehr gute, dafür unbeliebte Schülerin zu sein, wahrscheinlich des Schielens wegen. Sie könnte auch eine Streberin sein. Jetzt, wo alle mit uns Kontakt aufnehmen wollen, dreht sie mir ostentativ den Rücken zu. Vielleicht täuscht sie plötzlich Gleichgültigkeit vor, weil sie sich unerwünscht, störend und zu hässlich fühlt, um mit uns im Mittelpunkt zu stehen. Ich finde es

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