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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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Strafe. Ein Teufelskreis.
    Die Soldaten warteten auf der Höhe eines Passes auf sie.
    Schlüter spürte sein Herz klopfen. Clever hatte ihn erst ein paar Kilometer zuvor anhalten lassen.
    »Das Diktiergerät bitte«, hatte er gesagt, die Hand ausgestreckt mit dem fordernden Zeigefinger.
    Schlüter gab ihm das Gerät ohne Widerworte, Clever nahm das Band mit Ezos Bericht heraus, ließ sich von Schlüter sämtliche anderen Bänder einschließlich der Reservebänder aushändigen, legte alle sorgfältig nebeneinander in eine Tüte und klemmte sie über seiner Sonnenblende fest. Das Diktiergerät verstaute er im Handschuhfach, unter den Papieren der Leihwagenfirma.
    »Dann frag ich dich jetzt, wo das verdammte Band in Sivas geblieben ist«, murrte Schlüter.
    »Auch da oben«, sagte Clever und zeigte auf die Sonnenblende. »Das habe ich vorsichtshalber mit kassiert.« Während er sprach, knöpfte er sich das Hemd zu und rückte sein Halstuch zurecht, um seinen Kompass verschwinden zu lassen.
    Und jetzt die Kontrolle. Als ob sie erst durch Clevers Vorsichtsmaßnahme bedrohlich geworden sei, obwohl Schlüter doch wusste, dass das Gegenteil richtig war. Die beiden Unterstände klebten rechts und links an den steilen Flanken des Passes, jeweils zwei Gewehrläufe ragten heraus, die Straße war zu einem Platz, halb so groß wie ein Fußballfeld, verbreitert worden, auf dem wieder ein Parcours mit Betonbarrieren angelegt war. Das blutige Fleisch des Berges hatte man über die Kante des nächsten Abbruches hinunter in die Schlucht gekippt, eine lange unfruchtbare Halde, auf der nie wieder etwas wachsen würde. Die Natur musste der Sicherheit weichen: freies Schussfeld.
    Sie stiegen aus.
    Sie warfen kurze scharfe Schatten, denn die Sonne stand fast im Zenit. Graues Bruchgestein knirschte unter ihren Füßen. Die Kontrolle war eine fast perfekte Kopie der ersten. Mit dem Unterschied, dass die Soldaten auch das Gepäck genauer untersuchten. Sie forderten die Insassen auf, die Taschen aus dem Wagen zu nehmen, sie in den Staub des Platzes zu stellen, sie zu öffnen. Während ein Soldat den Inhalt unter die Lupe nahm, wurden sie von zwei weiteren bewacht. Die beiden übrigen Militärs nahmen sich den Wagen vor. Schlüter sah zu, wie sie die Radkappen von den Rädern rissen. Sich niederknieten, um den Wagen von unten zu untersuchen. Den Kofferraum öffneten. Schlüter wandte sich ab, sein Herz pochte in seinen Schläfen.
    Sie mussten folgen ins Schilderhaus, das etwas größer war als die beiden, in denen sie schon gewesen waren. Das vermaledeite Formular. Verfluchte Bürokratur. Ezo Adaman schrieb den Namen ihres Vaters mit fester Schrift. Das Entleeren der Taschen: Geldbörse, Kugelschreiber, Taschentuch. Und der Stein. Schlüter legte den Stein auf den Tisch.
    »What’s that?«
    »A stone. Souvenir.« Schlüter zuckte die Schultern.
    Die Uniformierten wechselten unsichere Blicke.
    Es folgte die Leibesvisitation: Abtasten nach Waffen. Sie mussten sich aufstellen, mit gespreizten Armen, die Beine leicht auseinander, und einer der Männer ging vor ihnen auf die Knie, um sie abzutasten, Clevers Röhrenjeans, Schlüters Salz- und Pfefferhose, dann Clevers Pfadfinderhemd und Schlüters blau gestreiftes Businesshemd. An Clevers dürrer Gestalt konnte man ohnehin nichts verstecken, was auftrug. Ezo rührten sie nicht an. Aber die zwei Soldaten, die die Prozedur mit gezückter Waffe bewachten, sahen unzufrieden aus. Ein Mann durfte eine Frau nur im Schlafzimmer berühren und nur, wenn es seine eigene war.
    Schlüter zog den Mantel wieder an, der Ölfleck aus Kamils Lagerraum grinste laut, und sortierte seine Sachen in die Taschen. Auch den Stein nahm er wieder an sich und versenkte ihn in der rechten Manteltasche.
    »Where you go?«

    »Ovacık.«

    »What you do?«

    In diesem Augenblick begann Ezo zu sprechen. Schlüter hatte sie in seiner eigenen Anspannung nicht beachtet, aber jetzt fielen ihm ihre trotzige Stimme und ihre zornigen Augen auf. Sie stand auf, redete schnell und gestikulierte, drang auf den Soldaten ein, der sie aber nicht ansah. Er sah an ihr vorbei, Schlüter auf die Brust.
    »You drive«, sagte der Soldat plötzlich.
    Ezo ließ zum Abschied eine weitere lange Tirade auf den Mann niedergehen, während sie das Häuschen verließen. Sie stiegen wieder ein. Schlüter startete den Motor, legte den ersten Gang ein und fuhr vorsichtig an. Alles in Zeitlupe. Er fuhr weiter im ersten Gang, durch den ganzen engen Parcours, und

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