Paragraf 301
seitdem, ich habe trockene Augen.
Als die Soldaten fertig sind, müssen die Frauen aufstehen, aber zwei können das nicht mehr, der Kommandant schreit ein Kommando und ein Soldat bückt sich, und ich sehe, dass er ein Messer in der Faust hat, die Klinge blitzt in der Sonne auf, ich sehe seine Faust einen Ruck, einen Bogen machen, ich sehe das Blut und ich sehe die beiden Leiber, die Beine zucken, und ich höre unsere Leute verzweifelt schreien und weinen, ich sehe meine Eltern, die sich aneinanderklammern, das verzerrte Gesicht meines Vaters, und dann müssen die Männer die Hosen herunterlassen und die Frauen, die nicht vergewaltigt worden sind, und die anderen, die noch laufen können, müssen den Männern ein Band um die Hoden binden und daran müssen sie die Männer im Kreis führen, die Männer müssen laufen, so schnell sie können, aber sie fallen hin, und sie müssen wieder aufstehen und weiterlaufen, und die Soldaten lachen und freuen sich und schreien begeistert, nur zwei nicht, einer steht abseits und starrt in die Berge und der andere hält sich an einem Stein fest und kotzt, sie sind Schwächlinge und noch nicht abgehärtet für den Krieg, vielleicht machen sie ja beim nächsten Mal mit, vielleicht sind sie aber auch anständig. Dann haben ihre Kameraden genug von diesem Spiel, sie nehmen sich wieder mehrere Frauen, diesmal ist unsere Nachbarin dabei, sie ist im achten Monat schwanger, sie schreit laut, aber es nützt ihr nichts, sie bringen auch sie hinter unser Haus und sie fangen wieder mit dem Vergewaltigen an, und als sie damit fertig sind, nehmen zwei ihre Messer und schlachten die Frauen und auf der anderen Seite des Hauses schießen sie so lange in den Haufen Menschen hinein, bis alle liegen und sich nichts mehr regt. Die Soldaten gehen in die Häuser und nach kurzer Zeit sehe ich Rauch aus den Fenstern quellen und Flammen aus den Dächern schlagen, ich höre das Prasseln, die Funken schießen in den Himmel. Die ganze Zeit will ich meine Augen schließen, aber ich kann es nicht, ich starre und starre und starre immer weiter auf das Dorf unter uns, das eine Hölle geworden ist.
Als alle Häuser brennen, ziehen die Soldaten ab, ich höre ihr Lachen lange, ich höre es heute noch, ich mag kein Männerlachen mehr hören und keine Frauenschreie. Ich sage meiner Cousine, dass sie meinen Bruder holen soll, er ist doch oben bei den Schafen. Aber wir müssen warten, bis keiner von den Soldaten mehr zu sehen ist, erst dann trauen wir uns aufzustehen, und da kommt mein Bruder schon von selbst, denn er hat die Schüsse und die Schreie gehört bis ins oberste Tal, zu dritt laufen wir in unser verlorenes Paradies. Alle sind tot, meine Mutter, mein Vater, sie liegen in ihrer letzten Umarmung. Hinter unserem brennenden Haus finden wir die Frauen, unserer Nachbarin haben die Soldaten den Bauch aufgeschlitzt, ihre aufgerissenen Augen starren in die Sonne, die sie nicht mehr blenden kann. Ihre Hände hat sie in ihr Blut und ihre Eingeweide getaucht, wir sehen, wie ihre Hände sich bewegen, obwohl sie doch tot ist, unter ihnen rührt sich der Säugling. Wir sind Erwachsene geworden in dieser einen Stunde, wir heben das Kind heraus und schneiden die Nabelschnur durch, wir holen Wasser vom Bach und säubern es, wir nehmen Zeyneps Hemd und reißen es in Streifen und verbinden den Fuß des Kindes, denn das Messer des Soldaten hat seine kleine Sohle geritzt. Es ist ein Mädchen. Wir haben sie Rahsan genannt wie ihre Mutter, sie wohnt nebenan, und wenn Sie wollen, gehen wir hin, damit sie Ihnen die Narbe auf ihrer Fußsohle zeigen kann.
Wir sind dann in die Berge zu unseren Schafen geflohen, Schafsmilch haben wir Rahsan gegeben. Wir hatten nichts als ein großes schwarzes Tuch, um uns darunter zu verstecken, wenn die Flugzeuge über uns hinwegflogen. Sie haben uns nicht entdeckt. Wir vier sind die Einzigen aus unserem Dorf, die überlebt haben. Cousine Nesrin, mein Bruder Baran, Rahsan und ich.
Später haben wir Überlebende aus anderen Dörfern getroffen, die man überfallen hatte, vor und nach unserem, und nach und nach erfuhren wir, dass die Massentötungen von Mitte März bis Ende Mai gedauert haben. Viele grausige Geschichten haben wir gehört, so wie unsere. Nicht alle Türken sind schlecht, wurde uns erzählt. Ein Soldat hat sich geweigert, ein kleines Kind zu erschießen, das an der Brust seiner toten Mutter saugte, er bekam Prügel und der Kommandant befahl dem nächsten Soldaten, das Kind zu erschießen,
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