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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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nachdem er Heyder am Rande der Kiesgrube hatte verschwinden sehen. Zurück auf seinem Hof hatte Heinsohn festgestellt, dass sein ruinierter Fuß auch nicht mehr in die aktuellen Gummistiefel hineinpasste, die er sich vor höchstens drei Monaten bei der Labag gekauft hatte. Man musste nur ein paar Stunden den Hof verlassen und nichts war mehr so, wie es vorher gewesen war. Also hatte er seine abgelegten Gummistiefel wieder aktiviert, deren zahlreiche Löcher mit Fahrradflicken zugeklebt waren. Man schmiss ja nichts weg, und das war mitunter praktisch.
    Er war aufgeregt, aber als er Heyder durch die Gittertür schleichen sah, bleich, gebeugt und mit verrutschtem Auge, bewacht von einem Justizgorilla, packte ihn das Entsetzen. Was hatten sie mit diesem Mann gemacht? Was war mit seinem Auge?
    Wenn Untersuchungshäftlinge Besuch bekommen, beaufsichtigt ein Justizbeamter das Gespräch, hatte Christa Schlüter erklärt, er, Heinsohn, möge das im Hinterkopf behalten. Und nun saßen sie in dem Besuchsraum einander gegenüber, während der Muskelberg, am Kopfende des Tisches hockte und zwischen ihnen an die Wand starrte. Sein Glatzkopf wirkte auf den breiten Schultern geradezu unterentwickelt, fand Heinsohn. Aber was sollte der Mann auch mit einem großen Kopf, wenn er ihn nicht benutzte?
    »Ich soll dich schön von Schlüter grüßen«, begann Heinsohn ohne Rücksicht auf den Beamten. Er hatte keine Geduld.

    »Von wem?!«, antwortete Cengi und richtete sich auf.
    »Er ist in der Türkei. In Ovacık. Seine Frau hat mich Sonnabendabend angerufen und mir das erzählt.«
    »Wo ist er??«
    »Über die Tat und alles, was damit zusammenhängt, wird nicht gesprochen, klar?«, grummelte der Beamte misstrauisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Damit hab ich sowieso nichts zu tun«, grollte Heinsohn lässig. »Da machen Sie sich man keine Sorgen über.« Und zu Cengi gewandt fuhr er fort: »Er hat was herausgefunden über deinen Xal.« Cengi starrte Heinsohn unverwandt an, der Beamte wollte sich einmischen, aber Heinsohn war schneller und fragte: »Wissen Sie, was ein Xal ist?« Er wartete nicht auf die Antwort und log: »Das heißt … äh, Bürgermeister. Xal ist Zazaki und heißt Bürgermeister. Ja, wirklich!«

    »Zazaki?«
    »Das erklär ich später«, sagte Heinsohn herablassend.
    »Und was soll mit dem Bürgermeister sein?«, wollte der Beamte jetzt wissen.
    »Na ja«, antwortete Heinsohn und überlegte fieberhaft, wie er Heyder von Veli Adamans Brief erzählen konnte, ohne den Beamten misstrauisch zu machen. »Eigentlich will ich es ja Heyder sagen und nicht Ihnen, aber wo Sie sich jetzt dafür interessieren, ist es mir egal, wenn Sie’s auch erfahren. Also«, wandte er sich an Cengi, »dein Xal hat einen Brief geschrieben, drei Tage bevor er …, und das ist ganz hervorragend, soll ich ausrichten. Er hat was aufgeschrieben, was Freiheit bringen wird, jedenfalls was den Xal betrifft, das kann ich ausrichten, das steht fest.«
    »Was kann das denn sein?«, fragte der Beamte unsicher.
    »Tja«, sagte Heinsohn. »Mehr weiß ich auch nicht. Höchstens noch, dass Schlüter den Brief in einem Buch gefunden hat, in einem Buch über die Sprache der Zaza, das ein Deutscher geschrieben hat. Ja, ja, so ist das, mein Lieber, mach dir keine Sorgen.« Heinsohn tätschelte scheu Heyders Hände und zog den Tabak aus der Tasche, den er besorgt hatte. »Hier«, wechselte er das Thema. »Hab ich dir Tabak mitgebracht. Hast ja sonst nix vom Leben hier drin. Meine Güte.« Er ließ den Beamten das Päckchen Tabak mit Blättchen kontrollieren, schob es dann Heyder über den Tisch.

    Als Cengi zugreifen wollte, packte Heinsohn dessen Hände und hielt sie fest. »Guten Mut!«, sagte Heinsohn. »Den kannst du haben! Übrigens will Schlüter dich unbedingt besuchen, wenn er wieder hier ist.«
    Cengi sagte nichts, er öffnete das Päckchen und begann, sich eine zu drehen. Seine Hände zitterten, der Tabak fiel zwischen Tischkante und Hemd auf die Hose, Cengi schob seinen Stuhl zurück und beugte sich, um das Kraut einzusammeln. Plötzlich hielt er in seiner Bewegung inne und erstarrte. Blieb mit dem Kopf halb unter dem Tisch stecken. Wie festgefroren.
    »Was ist denn da unten los?«, wollte der Beamte wissen.
    Heinsohn blickte verwundert auf Cengis gebeugten Nacken und überlegte sich, ob er nachsehen sollte.
    Bevor er dazu kam, richtete sich Cengi langsam wieder auf. Trotz seiner dunklen Gesichtsfarbe konnten sie sehen, dass er totenbleich

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