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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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wären sie Müll und trügen Gift unter ihrem Fell, kein Fleisch, das man essen konnte. Statt sie nach der Geburt, oft nachts, trocken zu reiben, sie im Kälberstall womöglich unter Rotlicht zu legen, damit sie überlebten, sie an das Saufen aus dem Trog zu gewöhnen und sie Tag für Tag zu füttern, hätte Heinsohn die siebenundzwanzig Bullenkälber, die ihm seit dem Weideabtrieb geboren waren, eigentlich sofort totschlagen müssen, wenn er Verstand gehabt hätte. Aber Heinsohn hatte es nicht getan und sie fraßen Schrot und Heu und kosteten Arbeit und Geld. Die Landwirtschaft hatte ihre Ehre verloren, wenn man so denken musste, und die Arbeit ihren Sinn.
    »Verschwinde hier!«, rief Bauer Heinsohn, jetzt lauter. Endlich wurde er richtig wütend.
    »Dann geh ich jetzt zu den Liegeboxen«, sagte der Fremde und flankte in die nächste Box. »Karre hab ich gesehen und Sägespäne sind auch genug da.«
    Er trat die letzten Strohplacken mit kräftigen Tritten auseinander, als würde er Tore schießen, schwang sich über das Fressgitter zurück auf den Futtergang, lief an Heinsohn vorbei und trabte aus dem Stall. Er hatte sich noch nicht einmal ins dunkle Gesicht sehen lassen.
    »He«, brüllte Bauer Heinsohn ihm hinterher und setzte dem Eindringling nach. »So war das nicht gemeint! Du sollst nicht …« Jäh stieß er mit seinem verdammten Knöchel gegen den Milcheimer, der gestern liegen geblieben war. Der Schmerz kreischte in steiler Kurve durch sein Bein.
    Heinsohn ließ sich stöhnend auf den letzten Strohballen fallen, den dieser freche Kümmeltürke übrig gelassen hatte. Als hätte er gewusst, dass Bauer Heinsohn ein Polster brauchen würde.
    So weit war es mit ihm gekommen. Er war nicht mehr Herr auf seinem Hof! Die Kümmeltürken hatten sich im ganzen Land ausgebreitet, in Hamburg und Berlin sollte es Gegenden geben, wo nur noch Türken herumliefen, und jetzt wollten sie seinen Hof besetzen.
    Bauer Heinsohn sog die Luft scharf durch die Zähne ein und massierte wütend seinen Fuß. »Tööf man«, murmelte er. »Di ward ick kriegen, din Dolitschen!«
    Langsam ließ der Schmerz nach und Bauer Heinsohn rappelte sich hoch. Aber er merkte, dass er nicht würde gehen können, ohne zu humpeln. Er musste erst üben, bevor er diesem Affen aus Asien mit Anstand und nicht als Krüppel entgegentreten konnte. Heinsohn knirschte vor Wut und Schmerz mit den Zähnen und humpelte vor seinen Kälbern herum. Neugierig steckten sie die Köpfe durch das Fressgitter wie bei einer spannenden Theatervorstellung.
    »Kiek nich so blöd«, brüllte der Bauer wütend und fuchtelte mit den Armen. Erschrocken rissen die Tiere ihre Köpfe aus dem Fressgitter.
    Endlich klappte es mit dem Gehen. Als Bauer Heinsohn den Kälberstall verlassen hatte, hörte er plötzlich Lärm und Krachen, dann ein Bölken seiner Kühe und kurz darauf ein Gebrüll in einer Sprache, die er nicht kannte. Heinsohn vergaß seinen Schmerz und lief los.
    Das Getöse wurde lauter. Im Boxenlaufstall war die Hölle los. Noch bevor Heinsohn das offene Tor erreichte, hörte er den Türken brüllen: »Ein Seil – schnell – ein Seil!«
    Heinsohn machte, ohne nachzudenken, kehrt auf seinem gesunden Hacken. Neben der Innentür zum Kälberstall hingen die Stricke. Er griff sich den längsten und stürmte zurück, umrundete den nutzlosen Haufen mit den Sägespänen.
    Jetzt sah er die Bescherung: Im Laufstall drängten sich die Kühe auf der gegenüberliegenden Seite ängstlich zusammen. Zwei der Kühe waren durch die morschen Betonrippen in den Güllekeller durchgebrochen, sie strampelten wild in der Jauche, die hoch aufspritzte und schon den Kopf des Türken verzierte. Der kniete vor dem Loch und versuchte, eines der Tiere an den Ohren zu halten, aber sie glitschten ihm immer wieder aus den Fäusten. Die Tiere schnaubten voller Panik, hielten ihre jauchigen Köpfe steil über die Betonkante des Güllekellers wie ertrinkende Kinder und scheuten vor ihrem Retter. Mindestens fünf Betonrippen waren durchgebrochen.

    »Schnell, Chef, mach eine Schlinge«, forderte der Türke mit gedämpfter Stimme, ohne sich umzudrehen.
    Hatte der Mann hinten Augen? Aber es war nichts gegen die Anordnung zu sagen. Heinsohn knüpfte eine Schlinge und reichte dem Mann den Strick, der ihn sogleich der Kuh um den Kopf warf. Mit angstgeweiteten Augen strampelte das Tier in der zähflüssigen Pampe.
    »Scheißkühe, haben keine Hörner!«, sagte der Türke. »Muss um Hals gelegt werden!«
    »Mach und

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