Paragraf 301
halt sie fest«, sagte Heinsohn. »So können wir nicht ziehen. Wir würgen sie bloß. Ich hol einen Halfter, dann kriegen wir sie.«
Er drehte sich um und lief den Weg zum Kälberstall noch einmal, nahm einen Halfter vom Haken und kehrte zurück. Der gelenkige Türke beugte sich weit vor und legte der Kuh den Halfter an, merkwürdigerweise wusste er, wie man das machte, und befestigte das Ende an der letzten intakten Betonrippe; dabei redete er leises Kauderwelsch. Die Kuh ließ sich alles gefallen.
»Die ist sicher«, sagte der Türke schließlich und löste den langen Strick.
»Wo ist die andere?«, wollte Heinsohn wissen. Er ärgerte sich, dass er nicht gleich zwei Halfter aus dem Kälberstall mitgebracht hatte.
»Schon untendrunter, Chef, ich kann nicht zwei halten.«
Nein, zwei konnte er nicht halten, das konnte niemand.
»Diese verdammten Ställe«, fluchte Heinsohn leise. »Erst kürzen sie das Milchgeld, dass man immer mehr Kühe haben muss, obwohl man schon keine Lust mehr hat. Und dann baut man diese Ställe, damit man die Arbeit schafft, und dann brennt man den Tieren die Hörner weg, damit sie sich nicht gegenseitig umbringen.« Und dann, dachte er, hätte man längst die morschen Betonrippen auswechseln müssen. »Verfluchter gottverdammter Mist!!«, schrie er.
»Mist stimmt, Chef«, stimmte der Türke zu. Er hielt den Strick und kratzte sich mit der freien Hand das Gesicht. »O Scheiße«, murmelte er, denn er hatte seine Hand betrachtet und konnte sich ausrechnen, wie sein Gesicht aussah. Die Jauche lief ihm in den Hemdkragen. »Aber Gott verdammt man nicht.«
»Was geht dich das an?« Endlich konnte Heinsohn brüllen. »Ihr seid doch Mohammedaner da unten, was geht ein gottverdammter Gott dich an? Ich kann so viel fluchen, wie ich will, merk dir das!« Heinsohn wischte sich den Geifer vom Mund.
»Wenn es nützt …«, murmelte der Fremde. »Die andere ist weg jetzt. Das kommt von der Brüllerei.«
Diese verdammte blöde Kuh! Heinsohn wollte weiterbrüllen, aber dann überlegte er, ob das Tier Grund bekommen würde. »Wo ist sie hin?«
»Da lang«, sagte der Türke und wies zur Südseite des Stalles.
Heinsohn folgte seinem Blick und hörte es irgendwo unter den Betonrippen planschen. Der Türke wischte seine Hände an der Hose ab, zog sich die Jacke aus, wirbelte sie wie ein Lasso über seinem Kopf und ließ sie auf den Futtergang segeln. Dann begann er, sein Hemd aufzuknöpfen. Ein muskulöser dunkel behaarter Brustkasten kam zum Vorschein. Auch auf den Schultern hatte der Türke Haare.
»Ist egal jetzt«, sagte er zu sich selbst und schleuderte das Hemd fort wie die Jacke.
»Was hast du vor?«, fragte Heinsohn, während er den Halfter an den Strick knüpfte und diesen am Fressgitter festband.
»Hinterher«, antwortete der Fremde. Er kniete am Rand des Güllekellers und sog mit zusammengekniffenem Gesicht Luft ein.
»Bist du wahnsinnig?«, flüsterte Heinsohn. »Willst du dich umbringen?«
Der Türke schüttelte den Kopf, antwortete aber nicht, sondern zog die Schuhe aus und warf sie zu den anderen Sachen auf den Futtergang. Er setzte sich hin und ließ seine Beine in der Gülle versinken, die Hände neben dem Hintern.
»Halt!«, schrie Heinsohn. »Ich sage halt! Komm sofort da weg!«
»Und – wie willst du deine Kuh wiedersehen?«
»Da drin ist Gas, du Witzbold. Ein Atemzug und du bist tot!«
»Den Strick«, sagte der Fremde, lüpfte den Hintern und ließ sich langsam neben der gebundenen Kuh in die Jauche versinken, die blasig um ihn aufbrodelte. Der Mann war nicht groß. Das erkannte Heinsohn erst jetzt. Nur Hals und Kopf staken noch aus der Brühe, der Türke drehte sich um und hielt sich mit den jaucheglänzenden Händen fest.
»Das geht«, sagte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Schnell!«
Heinsohn warf hastige Blicke auf die beiden Lebewesen, die ihn aus dem Güllekeller anstarrten, und dorthin, wo unter den Betonrippen das Schnaufen der anderen Kuh zu hören war.
»Du Idiot!«, brüllte Heinsohn und war sich nicht sicher, ob er sich nicht selbst meinte. Er bückte sich, hob den langen Strick auf und drückte dem Türken das eine Ende in die Hand. Der knüpfte sich mit erhobenen Armen eine Schlinge und zog sie unter die Achseln.
Er schnaufte. »Ich rufe ›Allah ist groß‹ alle paar Sekunden. Wenn ich nicht mehr rufe, ziehst du mich raus«, ordnete er an, drehte ab und tauchte langsam unter die Betonrippen.
Heinsohn achtete darauf, dass der Strick sich
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